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Der Profi

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Titel: Der Profi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fernando S. Llobera
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war ein erfahrener brigadir, und er war schlau, aber in dieser Nacht wirkte er geradezu am Boden zerstört. Mit Sicherheit war es nicht einfach für ihn, über die bizarre Art der Hinrichtung seines Bosses hinwegzukommen. Noch dazu hatte der Mörder eine derart ungewöhnliche Waffe verwendet, eine Tatsache, die für Dratschew eine schmerzhafte Beleidigung darstellte. Fast, aber nur fast, hätte ich bei seinem jämmerlichen Anblick Mitleid verspürt.
    »Meine Herren …«, wandte ich mich nun an die vier. »Ich habe euch rufen lassen, um ein wenig Licht in die Vorfälle der letzten Tage zu bringen. Ich brauche dringend mehr Informationen von euch, um …«
    » Mudack! «, rief Dratschew und spuckte vor mir auf den Boden. »Pah, deine Mutter war eine Schlampe. Mit dir rede ich nicht!«
    Er leerte sein Glas in einem Zug und knallte es anschließend unter lautem Klirren auf den Metalltisch. Es hörte sich fast wie die Detonation einer kleinkalibrigen Pistole an – einer Damenpistole, die einen tötet, wenn man sie direkt an die Schläfe drückt, die aber bei größerem Abstand so wenig effektiv ist wie eine über den Pausenhof geplärrte Beleidigung. Dratschew hatte es eindeutig darauf abgesehen, mich zu beleidigen. Als er merkte, dass ihm das nicht gelang, hielt er mir einfach den ausgestreckten Mittelfinger entgegen. Die anderen grinsten. Gagarin tadelte ihn, allerdings nur halbherzig. Ich verlangte einen Stuhl und ließ mich neben dem Oberst nieder.
    »Oberst, ich habe Verständnis für die derzeitige Situation, aber …«
    Dratschew spuckte eine Mischung aus Geifer und Wodka aus, die Spritzer auf meinem Gesicht und ein leichtes Brennen in meinem rechten Auge hinterließ. Es vergingen mehrere Sekunden, in denen er hoffte, ich würde seine Aggression erwidern. Das hätte er als Vorwand nutzen können, um noch ganz anders auf mich loszugehen.
    Aber ich blieb ganz ruhig, obwohl ich merkte, dass mein Blut langsam in Wallung geriet:
    »Ich glaube, da hast du dir den Falschen ausgesucht, Oberst«, flüsterte ich und fügte mit heiserer Stimme hinzu: »Ich habe jetzt zwei Möglichkeiten. Erstens, ich gehe wieder. Zweitens, ich bleibe hier. Sollte ich diesen Raum jetzt gleich verlassen, werde ich mir eine saftige Pizza Mar gherita zum Abendessen gönnen und mir ein paar Gläschen Rotwein aus meiner Heimat hinter die Binde kippen. Vielleicht riskiere ich zum Nachtisch sogar eine Zabaglione. Mit Sicherheit werde ich heute Nacht ruhig schlafen. Danach werde ich spät aufstehen, und während ich in der Bar um die Ecke mein Frühstück einnehme, werde ich Boris Iwanowitsch bitten, dass er dein Todesurteil unterschreibt. Ich werde es natürlich nicht persönlich ausführen. Das würde keinen guten Eindruck auf die in Madrid ansässigen Clans machen, sie sind sowieso schon schlecht auf mich zu sprechen. Aber Boris Iwanowitsch wird trotzdem keine fünf Minuten brauchen, um wen auch immer damit zu beauftragen.«
    Bevor ich fortfuhr, wartete ich eine Minute und sah den Oberst unverwandt an.
    »Die andere Möglichkeit: Ich bleibe hier, trockne mir das Gesicht ab, und wir unterhalten uns wie zivilisierte Männer.« Dann klopfte ich mir gegen die Brust: »Will heißen: Ich unterhalte mich mit einem unfähigen brigadir , der nicht imstande ist, seinen Boss am Leben zu halten! Und wir versuchen herauszubekommen, warum drei vory gekillt worden sind. Was meinst du?«
    Da platzte es aus Gagarin heraus:
    »Lucca, Lukasha …!«
    Ich hob den Finger und forderte ihn auf zu schweigen. Währenddessen ließ ich Oberst Dratschew nicht eine Se kunde aus den Augen. Ich hielt meinen Finger so lange erhoben, bis der Oberst leise sagte: »Einverstanden, reden wir …« Dann schnappte ich mir eine Serviette, die auf dem Tisch lag, befeuchtete sie mit etwas Wasser und reinigte mir gründlich das Gesicht. Die anderen sahen mir mit gleichgültiger Miene zu.
    Um die Aufmerksamkeit aller zu erreichen, rückte ich anschließend meinen Stuhl etwas vom Oberst weg. Dann forderte ich Zagoneks brigadir auf, mir bis ins kleinste Detail die letzten Stunden seines Chefs zu schildern. Er sah verstohlen seine Kameraden an.
    »Für das, was ich von dir wissen will, brauchst du von niemandem ein Einverständnis!«, sagte ich drohend.
    Den Schilderungen seines brigadir zufolge war Zagonek an jenem unseligen Morgen gut gelaunt aufgestan den. Ich wollte wissen, ob es einen speziellen Grund für seine gute Laune gegeben habe, aber der Leutnant wollte oder konnte mir darauf

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