Der Prometheus-Verrat
Er hängt mit einem Mann zusammen, der Jademeister genannt wird.«
Tarnapolski warf Bryson einen vielsagenden Blick zu. Beide wussten, auf wen sich der Spitzname bezog. Der so genannte Jademeister war ein mächtiger, in Shenzhen stationierter General der chinesischen Volksbefreiungsarmee. Als korrupt berüchtigt, hatte General Tsai gewissen internationalen Unternehmen die Tür zum chinesischen Markt geöffnet – für diverse Gegenleistungen, versteht sich. Er war auch bekannt für seine Sammelleidenschaft: Er sammelte kostbare Jadekunstwerke aus dem kaiserlichen China und ließ
sich, wie man wusste, mit schönen Jadeschnitzereien bereitwillig schmieren.
Labow registrierte den Blick der beiden. »Ich weiß nicht, was Sie sich hiervon versprechen«, sagte er verächtlich. »Es wird sich einiges verändern. Dagegen werden Sie nichts ausrichten können.«
Bryson wandte sich Labow mit fragender Miene zu. »Was soll das heißen: ›Es wird sich einiges verändern‹?«
»Mir bleiben nur noch ein paar Tage«, antwortete Labow sibyllinisch. »Bis dahin muss alles vorbereitet sein.«
»Vorbereitet? Was? Wozu?«
»Die Maschinerie wurde bereits in Gang gesetzt. Der Machtwechsel steht unmittelbar bevor. Dann klärt sich alles auf.«
Tarnapolski hielt mit dem Polieren inne; er steckte das Taschentuch weg und richtete die Waffe auf Labows Gesicht. »Ein Staatsstreich? Ist es das, worauf Sie anspielen?«
Bryson unterbrach ihn. »Aber Prischnikow ist in Russland doch längst an der Macht. Zu putschen hat er gar nicht nötig.«
Labow lachte geringschätzig . »Staatsstreich! Sie tappen offenbar wirklich im Dunklen. Sie sind blind! Wir Russen haben nie gezögert, wenn es darum, Freiheit gegen Sicherheit einzutauschen. Da kommen Sie auch noch hin. Sie alle. Wie gesagt, die Maschine ist schon in Bewegung. Bald wird sich’s zeigen.«
» Wovon zum Teufel reden Sie? «, donnerte Bryson. »Prischnikow und seine Kollegen – reicht ihnen ihr wirtschaftlicher Erfolg nicht mehr? Wollen Sie noch höher hinaus und sich jetzt auch noch Regierungsgewalt anmaßen? Ist ihnen ihr ganzes Geld und ihr Einfluss zu Kopf gestiegen? «
»Wir würden gern Genaueres wissen, mein Freund«, sagte Tarnapolski und senkte die Pistole. Weitere Drohungen waren nicht mehr nötig.
»Regierungsgewalt? Regierungen sind längst überholt. Man muss sich nur Russland anschauen; unsere Regierung hat doch keine Macht mehr. Das Sagen haben heutzutage
die großen Konzerne. Anscheinend hat Lenin doch Recht behalten. Es sind wahrhaftig die Kapitalisten, die die Welt regieren.«
Plötzlich schnellte Labows rechte Hand vor. Die Fesseln ließen ihm gerade eben genügend Spielraum, um Tarnapolskis Pistole zu ergreifen. Tarnapolski reagierte schnell. Er packte Labows Hand und versuchte, ihm die Waffe wieder zu entwenden. Für einen kurzen Moment zeigte der Lauf nach oben und dann, genau auf Labows Gesicht. Labow starrte direkt in die Mündung, schien wie hypnotisiert von dem schwarzen Loch und lächelte süßlich. Dann, bevor ihm Tarnapolski die Waffe aus der Hand reißen konnte, drückte Labow ab.
Zwanzigstes Kapitel
D er Selbstmord von Anatoli Prischnikows langjährigem Assistenten gab den Ereignissen eine unheilvolle Wende. Labow mochte ein gewissenloser Funktionär gewesen sein, der Telefon und Fax wie tödliche Waffen genutzt hatte, doch er war kein Killer gewesen. Mit seinem Tod war unnötig Blut vergossen worden. Mehr noch, er stellte eine Komplikation dar, die den sorgfältig ausgearbeiteten Plan durcheinander brachte.
Labows Fahrer würde bald aus seiner Bewusstlosigkeit erwachen. Seine Erinnerungen an den Überfall würden, wenn er denn überhaupt welche hätte, allenfalls verschwommen und vage sein. Aus dem Koma erwachend, würde er feststellen, dass seine Livree nach billigem Wodka stank, dass auf dem Sitz neben ihm eine Flasche lag und sein Chef verschwunden war. Er würde in helle Aufregung geraten und wahrscheinlich sofort bei Labow zu Hause anrufen. Diese Seite galt es also noch abzusichern.
Unter den Papieren in Labows Brieftasche fand Juri Tarnapolski auch dessen private Telefonnummer. Über sein Handy – ganz Moskau schien mobil zu telefonieren, wie Bryson feststellte – meldete er sich bei Labows Frau Mascha.
» Gospozha Labowa«, grüßte er im unterwürfigen Tonfall eines kleinen Angestellten, »hier ist Sascha aus dem Büro. Verzeihen Sie die Störung, aber Dimitri hat mich gebeten, Ihnen zu sagen, dass er etwas später kommt. Er hat ein
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