Der Protektor von Calderon
gehen.«
Ein Schemen erschien in der Öffnung, und erneut klirrte
Stahl. Isana sah violette und azurfarbene Funken sprühen, als die Schwerter zweier Meistermetallwirker aufeinanderkrachten, und dann fuhr eine Schwertklinge, rot von Blut, durch die Planken des Rumpfes neben der Öffnung.
Araris erschien ohne Waffe und taumelte kopfüber durch das Loch ins Meer. Im Wasser um ihn herum zeichneten sich sofort blutrote Streifen ab.
Isana starrte ihn an, konnte sich plötzlich nicht mehr konzentrieren und wusste nicht mehr, was sie als Nächstes tun sollte. Die Panik auf dem Schiff und der Zorn im Meer überfielen sie von zwei Seiten und lähmten sie.
Tavi streckte die Hand aus und packte Araris unter dem Arm. Als hätte sie sich mit ihm abgesprochen, ergriff Kitai den anderen Arm, und so hing Araris zwischen ihnen, den Kopf unter Wasser.
»Los!«, schrie Tavi. »Los, los, los!«
In diesem Augenblick stieg ein Laut aus der Tiefe auf. Etwas Vergleichbares hatte sie noch nie zuvor gehört. Es klang so tief, dass es ihre Knochen beben ließ, und schwoll zu einem lauten Pfeifen oder Kreischen an, das sich ihr durch die Trommelfelle bohrte wie stumpfe Nadeln. Die Oberfläche des Meeres zitterte, und eine feine Wolke Gischt stieg einige Zoll über dem Wasser auf. Der Laut traf sie zusammen mit einer zeitlosen, unmenschlichen und rückhaltlosen Wut, und durch die Wucht der Emotionen begannen ihre Arme und Beine vor Schreck zu zittern.
Dann wiederholte sich das Gleiche hinter ihnen. Und auch vorn. Wieder und wieder und wieder, denn nun hatten die Leviathane den Eindringling in ihrem Meer entdeckt.
»Äh«, schnaufte Ehren entsetzt. »Äh, äh, äh. Das … ist nicht gut.«
Isana fühlte, wie die Leviathane sich bewegten, als sie erwachten, und ihre gewaltigen Bewegungen ließen das Schiff wie ein Kinderspielzeug erscheinen, das auf einem Mühlenteich schaukelt. Die anderen Wesen des Meeres kamen nun ebenfalls in Bewegung, die kleineren Fische stoben auseinander, während die Haie schneller und zielloser ihre Kreise zogen.
Mit erschreckender Klarheit spürte sie, wie mehrere der Raubfische die Witterung von Araris’ Blut im Wasser aufnahmen und auf ihn zurasten.
Die Männer auf dem zum Untergang verurteilten Schiff schrien in Todesangst.
Es war zu viel. Zu viel Schmerz. Isana wusste, sie musste etwas tun, sie musste handeln, doch das Leid in all diesen Bewegungen, diese Emotionen wuchsen an zu einer unüberwindlichen Qual. Sie umfasste ihren Kopf und hörte sich selbst schreien.
Eine kräftige Hand packte die ihre und schloss sich so fest darum, dass beinahe die Knochen zerquetscht worden wären. Isana keuchte, aber der Schmerz diente ihr als Anker in dieser fließenden Welt, die ihre Sinne zu überwältigen drohte.
»Isana!«, rief Tavi. »Mutter!«
Dieses Wort von seinen Lippen durchfuhr sie wie ein Schock, heller und wärmer und doch schrecklicher als alles andere, und ihre Augen öffneten sich unvermittelt.
»Zurück zur Schleiche!«, schrie Tavi. »Bring uns zum Schiff zurück. Schnell!«
»Aleraner!«, rief Kitai. Es klatschte, als würde Wasser zu Schaum geschlagen, und dann schoss ein Hai an ihnen vorbei und zog eine Wolke dunkler Flüssigkeit hinter sich her. Isana drehte sich um und sah, wie das Marat-Mädchen einen blutigen Dolch zwischen die Zähne nahm und Araris wieder ergriff, der sich weiterhin nicht regte.
»Zum Schiff!«, brüllte Tavi im Befehlston. »Die Krähen sollen es holen, du bist die Erste Fürstin von Alera, und du bringst uns zum Schiff zurück!«
Die Stimme ihres Sohns klang wie Stahl und verlangte eiserne Beherrschung, und Isana hielt sich an dieser Kraft fest, als würde jemand ihr die Hände reichen.
Irgendwie wurde sie dadurch gestärkt und konnte diese überwältigende Macht vertreiben, die von überall her in ihren Gedanken freigesetzt wurde. Vernunft überkam sie, ganz schlagartig, als
ein weiterer Hai, der bislang größte, auf den verwundeten Araris zuhielt.
Isana rief Bächlein, und der Zorn auf den Raubfisch verlieh ihr zusätzliche Kraft. Der Hai wurde mit brutaler Wucht aus dem Wasser geschleudert, flog hoch durch die Luft und landete auf dem Deck der Mactis.
»Haltet euch fest!«, knurrte Isana. Sie fühlte die Leviathane, die auf sie zukamen, den Druck der Bugwellen, die sie vor sich her trieben. Derjenige, der sich ihnen am nächsten befand, war getaucht und sank fünfhundert oder mehr Fuß unter sie, um sich von dort in atemberaubender Schnelligkeit auf das
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