Der Protektor von Calderon
hinaus auf die Treppe. »Los, schaff den Cane her. Ich halte die Treppe.«
Tavi nickte, drehte sich um und rannte durch den Gang auf Vargs Zelle zu, während die Rufe der Grauen Wache lauter wurden, die Alarmglocke weiterhin geschlagen wurde und viele Füße die Stufen hinauftrampelten.
34
Vargs Zelle war ein großzügiger Raum, den man gut auch als Zimmerflucht hätte bezeichnen können. Unter der hohen Decke konnte sogar der zehn Fuß große Cane aufrecht stehen, wenn er wollte, und die Zelle war in einen Wohnzimmer-, einen Schlafzimmer- und einen kleinen Essbereich unterteilt. Als Tavi näher kam, stieg ihm der kräftige Geruch von Muff und Moschus in die Nase, den der Cane absonderte, und der rief ihm seine regelmäßigen Besuche beim Botschafter sowie die Taten Vargs beim Angriff der Vord-Königin in Erinnerung.
Tavi trat auf die abgedunkelte Zelle zu, konnte Varg jedoch
nicht sehen. Der größte Teil des Raums war in Schatten getaucht, und trotzdem war es kaum zu vermuten, dass sich der riesige Cane verstecken könnte. Im Bett jedenfalls, so dachte Tavi, lag niemand, aber sicher konnte er nicht sein.
Auf keinen Fall würde er die Tür öffnen, ehe er mit Varg gesprochen hatte. Selbst wenn er sich für einen Aleraner recht gut mit dem Cane verstanden hatte, machte er sich keine Illusionen. Varg war nicht sein Freund. Wenn er glaubte, die Situation biete ihm eine Gelegenheit zur Flucht, würde er Tavi töten, falls er das für notwendig hielt. Vielleicht unter großem Bedauern, aber das würde die Krallen oder Zähne des Cane nicht aufhalten.
Tavi blieb an der Tür stehen und rief: »Varg! Ich bin es, Tavi von Calderon. Ich muss mit dir sprechen!«
Im Schatten nahe dem Kamin leuchteten zwei rote Punkte auf. Einen Atemzug später bewegte sich der Schemen, und der riesige Cane trat in den schwachen Lichtschein, der aus dem Gang hereinfiel.
Varg erschien wie ein Wesen aus einem Albtraum. Selbst nach Maßstäben der Canim ein Riese, war er fast zehn Fuß groß. Sein Fell war pechschwarz und mit vielen feinen weißen Streifen durchsetzt, wo der Pelz über Kampfnarben nachgewachsen war. Deshalb wirkte es im richtigen Licht manchmal fast grau. Eines der Ohren hatte eine Kerbe, und ein funkelnder roter Edelstein in Gestalt eines menschlichen Schädels baumelte von einem goldenen Ohrring. Aus Augen, schwarzen Iris vor blutrotem Hintergrund, betrachtete er Tavi mit belustigter Klugheit, und trotz seiner Größe bewegte sich der ehemalige Botschafter so flink wie eine Katze, als er zu Tavi kam.
Tavi neigte den Kopf leicht zu einer Seite und bot ihm die Kehle dar. In der Körpersprache der Canim bedeutete das so viel wie ein Nicken, und Varg erwiderte die Geste, obwohl er den Kopf nicht so tief beugte wie Tavi.
»Du bist gewachsen«, knurrte Varg. Der Cane sprach mit tiefer, schnarrender Stimme, und seine Wörter wurden zwar von den
Fangzähnen ein wenig entstellt, waren aber trotzdem gut zu verstehen. »Deinetwegen wurde also Alarm geschlagen.«
»Ja«, antwortete Tavi. »Ich möchte, dass du mich begleitest.«
Varg legte den Kopf schief. »Warum?«
»Wir haben wenig Zeit«, gab Tavi zurück.
Varg kniff die Augen zusammen, doch sein Schwanz zuckte, eine Geste, die Zustimmung ausdrückte. »Handelst du im Namen deines Ersten Fürsten?«
»Ich handele im Sinne seiner Sache«, sagte Tavi.
»Handelst du auf seine Bitte hin?«, hakte Varg nach.
»Bei unserem Volk gibt es ein Sprichwort: Es ist leichter, sich hinterher verzeihen zu lassen, als vorher die Erlaubnis zu erhalten.«
Varg zuckte belustigt mit den Ohren. »Aha. Was hast du mit mir vor?«
»Ich möchte dich aus diesem Gefängnis befreien«, sagte Tavi. »Dann schmuggle ich dich aus der Stadt. Anschließend bringe ich dich zur Küste und übergebe dich dem Kommandanten der Canim-Armee, die vor zwei Jahren in unser Land eingefallen ist. Ich hoffe, damit schaffe ich es zu verhindern, dass sich unsere Völker gegenseitig zerfleischen.«
Varg knurrte tief aus der Brust. »Wer führt mein Volk in deinem Land?«
»Der Krieger Nasaug«, antwortete Tavi.
Plötzlich richtete Varg die Ohren auf Tavi, und sie zitterten vor Anspannung. »Nasaug ist in Alera?«
Tavi nickte. »Er hat angeboten, über eine Einstellung der Feindseligkeiten zu verhandeln, wenn du freigelassen wirst. Deshalb bin ich hier.«
Varg trat näher ans Gitter. »Sag mir«, knurrte er, »warum ich dir vertrauen soll.«
»Sollst du nicht«, sagte Tavi. »Ich bin dein Feind, und du bist
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