Der Protektor von Calderon
Augenblick länger, bis er fertig war. Dann schnallte er sich sein Schwert um und zog seinen grauen Mantel über, der denen, welche die beiden Bewusstlosen trugen, fast wie ein Ei dem anderen glich.
Ehren reichte ihm eine Flasche Wein. Tavi trank ein oder zwei Schlucke und verspritzte ein wenig auf Rüstung und Mantel, ehe er die Flasche an Araris weiterreichte, der seinem Beispiel folgte. Sie zogen die Kapuzen über und wandten sich zu Ehren um. »Und?«, fragte Tavi.
Ehren begutachtete sie aufmerksam und nickte. »Sehr gut.«
»Also dann los«, sagte Tavi.
Sie nahmen den Weg, auf dem Carus und Gert zum Turm zurückgekehrt wären, und Ehren begleitete sie. Der kleine Kursor blieb hinter ihnen, bis sie in Sichtweite des Turms kamen, wo er dann verschwand.
»Ein bisschen lockerer in den Knien«, murmelte Tavi. »Du siehst nicht betrunken genug aus.«
»Es durfte eben nicht jeder eine Ausbildung zum Kursor genießen«, erwiderte Araris. Trotzdem befolgte er Tavis Rat, als sie sich dem Tor näherten.
»Wer ist da?«, fragte verschlafen der Torwächter, der Dienst schob.
Tavi erkannte die Stimme - es war Tiberus - und er bemühte sich, Carus’ Stimme möglichst gut nachzuahmen. »Mach schon, Tib«, lallte er. »Du kennst uns doch.«
»Wurde auch Zeit«, gab Tiberus gähnend zurück. »Augenblick.« Mit einem Schlüsselring in den Händen erschien er hinter dem Tor. Schläfrig schloss er auf.
In dem Moment, in dem das Tor aufgeschlossen war, stieß Tavi es heftig auf. Es krachte Tiberus vor die Stirn, und der Wächter taumelte rückwärts. Tavi war zu ihm getreten, ehe die Miene empörter Überraschung verschwunden war, und er versetzte ihm zwei harte Faustschläge unter das Kinn. Tiberus schwankte unter den Hieben zurück und vor, dann schien einfach die Luft aus ihm herauszuströmen. Langsam sank er zu Boden.
Tavi zuckte zusammen und schüttelte die rechte Hand. Araris packte Tiberus und schleifte ihn in den Wachraum, wo er nicht zu sehen war, während Tavi das Tor zumachte und verschloss. Er
wandte sich um und ging auf den eigentlichen Eingang des Turms zu, und Araris gesellte sich an seine Seite.
Sie überquerten die Wiese und traten durch die Vordertür in den Grauen Turm. Die meisten Angehörigen der Grauen Wache würden zu dieser Stunde schlafen, wie Tavi wusste. Eine Handvoll Männer hatten Dienst und hätten Posten auf jedem Stockwerk bezogen, in dem sich gegenwärtig ein Gefangener befand, doch nicht auf der Treppe. Tavi und Araris stiegen rasch die Stufen hinauf. Auf jedem Absatz brannten Elementarlampen in Kerzengröße, und die beiden Männer bewegten sich so leise wie möglich durch das trübe Licht, bis sie das Stockwerk erreichten, auf dem Vargs Zelle lag.
In einer Nische des Ganges, der von der Treppe abzweigte, saß ein ernst wirkender junger Mann, den Tavi nicht kannte. Er saß an einem Tisch und schrieb offensichtlich einen Brief. »Ist es schon zwei?«, fragte er abwesend. »Ich dachte, die Glocke hätte gerade erst Mitternacht …«
Der junge Wächter sah auf. Sein Blick ging zwischen Tavi und Araris hin und her, dann riss er plötzlich die Augen auf. Er schob den Stuhl zurück und wollte sich erheben.
Araris hatte ihn erreicht, ehe der junge Mann aufstehen konnte, und die Klinge erschien in seiner Hand. Er schlug mit dem Knauf zu, und auch dieser Wächter sackte bewusstlos mit klappernder Rüstung zusammen.
Tavi kehrte zur Treppe zurück und lauschte, aber es hatte wohl niemand etwas gehört. Langsam atmete er aus und nickte Araris zu.
»Also gut«, sagte er. »Ich gehe zu ihm. »Dann können wir …«
Irgendwo im Gebäude wurde eine Alarmglocke geschlagen.
Tavi schlug das Herz bis zum Hals. »Was ist los?«, fragte er. »Was, bei den Krähen, haben wir übersehen?«
Unten im Treppenhaus waren Rufe zu hören. Einige Male krachte es heftig, als die neuen Stahlfallgatter im ganzen Turm niedergingen und ihn von der Außenwelt abtrennten.
Über ihm wurde ein Grollen laut, und Tavi schaffte es gerade noch rechtzeitig, sich in den Gang zu werfen, der zu den Zellen führte, ehe mehrere hundert Pfund Stahl knirschend von der Decke niedergingen und sich in den Boden rammten. Er drehte sich um und starrte auf das Tor, das ihn nun von Araris und der Treppe trennte.
»Es ist gleichgültig, was wir übersehen haben«, sagte Araris. Er beschrieb einen kleinen Kreis mit der Schwertspitze, als wollte er sein Handgelenk lockern, holte sich das Schwert des bewusstlosen Wächters und trat
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