Der Protektor von Calderon
Morgengrauen.
Mitternacht.
»Gut«, sagte Tavi. Er nahm sein Bündel. »Auf geht’s.«
Der erste Teil des Plans war in gewisser Weise der gefährlichste.
Der Graue Turm war kein besonders auffälliges Gebäude, und äußerlich mangelte es ihm vollkommen an der Dramatik, die sein Name - und seine Rolle in der Geschichte Aleras - erwarten ließ. Er sah nicht einmal besonders bedrohlich aus; eigentlich wirkte er nicht einmal wie ein Turm. Es handelte sich rein äußerlich um ein bescheidenes, mehrstöckiges Steingebäude. Der viereckige Grundriss und die einheitlichen Fensterreihen hatten wenig Kunstvolles an sich. Vor dem Gebäude lag eine größere Grasfläche ohne irgendwelche Verzierungen, die leicht zu überwachen war.
Seit Jahrhunderten spielte der Graue Turm eine wichtige Rolle in der aleranischen Gesellschaft, da es das einzige Gefängnis im Reich war, in dem auch die oberen Sphären der Civitas gegen ihren Willen sicher verwahrt werden konnten. In den Stein des Turms waren von den mächtigsten Wirkern Elementare geschmiedet und in die Zellen weitere Dutzende eingeschmolzen worden, die keine andere Aufgabe hatten, als die Elementarkräfte der Gefangenen unwirksam zu machen.
Zusätzlich zu den Schutzelementaren beherbergte der Turm die Graue Wache, eine halbe Zenturie von Ritter Ferrum, die vor allem aufgrund ihres Charakters und ihrer Treue zum Reich ausgewählt wurden. Es gab sogar ein Gesetz der Krone, das die Krone verpflichtete, jeder Wache den dreifachen Betrag zu zahlen, der ihr als Bestechungsgeld angeboten wurde, wenn sie die
betreffende Person den Behörden übergab. In den Jahrhunderten ihres Bestehens hatte sich kein Angehöriger der Grauen Wache je bestechen lassen.
Was bedeutete, dass man aus dem Grauen Turm nicht so leicht fliehen konnte wie aus dem Gefängnis an der Elinarcus. Tatsächlich war niemandem die Flucht gelungen, bis Tavi und Kitai die nach innen gerichteten Verteidigungsanlagen des Grauen Turms überwunden und Antillar Maximus während des Überfalls der Vord vor sieben Jahren herausgeholt hatten.
Zu dem Zeitpunkt hatte es wenig traditionelle Einrichtungen gegeben wie Gitter, Tore und Mauern um das Gelände.
Seitdem hatte sich allerdings einiges geändert.
Das erste Hindernis, das Tavi überwinden musste, war die fünfzehn Fuß hohe Außenmauer um die Grasfläche. Sie war zwei Fuß dick und aus den gleichen verwobenen Steinschichten hergestellt, aus denen auch die Belagerungsmauern der Legionsfestungen bestanden. Die Krone der Mauer war mit messerscharfen Kanten gespickt und außerdem mit handgroßen Eulenfiguren besetzt - Gargylen.
Gargyle waren weit verbreitete Wachelementare, die oft in Festungen oder Palästen reicher und mächtiger Cives zum Einsatz kamen, und obwohl ihr Erscheinungsbild sich im Einzelnen stark unterscheiden konnte, hatten sie alle eins gemeinsam - sie wurden groß, mächtig und einschüchternd gebaut. Die Kosten und die Elementarkräfte, die für den Erhalt eines Gargyls aufgewendet werden mussten, waren sehr hoch, und da es sich beim Grauen Turm um eine Einrichtung des Reiches handelte, galt Sparsamkeit als oberstes Gebot.
Deshalb war Tavi auf die Idee gekommen, lieber eine größere Zahl schwächerer Elementare einzusetzen. Für den Aufwand, den also ein einziger Gargyl gekostet hätte, konnte die Mauer (ebenfalls Tavis Vorschlag) rundum mit elementargewirkten Wächtern versehen werden. Die Eulen sollten keine Gewalt gegen Eindringlinge ausüben, wie es bei den meisten Gargylen gedacht war. Sie
sollten lediglich Alarm schlagen, falls jemand den Versuch unternahm, die Mauer zu erklimmen.
Demnach gab es nur einen Weg ins Innere, wenn man nicht gerade über die Mauer fliegen oder springen wollte. Man musste durch das stets bewachte Tor eintreten, das allerdings ausschließlich für die Graue Wache sowie Boten und Gesetzesvertreter geöffnet wurde, die eine besondere Ermächtigung der Krone vorweisen konnten.
Aus diesem Grund brachen Tavi, Ehren und Araris zum Hafen auf. Tavi führte sie in eine dunkle Gasse, die von einer Straße mit Wirtshäusern und Weinschenken abzweigte.
»Bist du wirklich sicher?«, murmelte Araris.
»Ich war jede Woche im Turm und habe Ludus mit Varg gespielt«, antwortete Tavi und schnallte sich das Schwert ab. »Ich kenne die meisten Wachleute. Die Männer, die für diese Arbeit ausgesucht werden, ändern nur ungern ihre Gewohnheiten. Carus und Gert treiben sich bestimmt irgendwo hier herum.«
Araris nahm ebenfalls
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