Der Protektor von Calderon
Sarg. Es war uns gelungen, die beiden gegeneinander auszuspielen und auf diese Weise den ersten Angriff abzuwehren. Die Zahlen sind nicht zu bezweifeln, Senator. In der Zwischenzeit wurden sie aus verschiedenen Quellen bestätigt.«
»Ja, ja«, gab Arnos ungeduldig zurück. »Die Frage, auf deren Beantwortung wir alle brennen, ist doch eine ganz andere, Hauptmann: Warum hast du die Hunde nicht längst zurück ins krähenverfluchte Meer getrieben? Ob sie nun zahlenmäßig überlegen sind oder nicht, Hauptmann, deine Ritter übertrumpfen doch alles, was die Canim ins Feld führen können.«
Tavi sah den Mann einen Moment lang an. Dann holte er tief Luft und sagte: »Zenturio.«
Marcus trat ein und brachte ein wie ein T geformtes Gerät in der Größe des Joches eines Pferdewagens. Er stellte sich zu Tavi und hielt den Gegenstand hoch, damit ihn alle sehen konnten.
»Dies«, erklärte Tavi, »ist eine Waffe der Canim. Es handelt sich um eine Verbesserung des gewöhnlichen Bogens, wir nennen sie ein Balestrum. Damit kann man schwere Stahlgeschosse fast zwei Drittel einer Meile weit schleudern, wenn der Wind günstig steht, und die gehen dann hart genug nieder, um einen Brustpanzer zu durchschlagen, den Mann dahinter zu durchbohren und auf der anderen Seite wieder hervorzutreten.«
Arnos verdrehte die Augen und schnaubte spöttisch.
»Durch diese Waffe habe ich mehr Ritter verloren als durch jede andere aus dem Arsenal der Canim, Senator«, sagte Tavi. »Sie werden von hervorragend ausgebildeten Schützen eingesetzt, und zwar fast jede Nacht. Jede Gruppe Canim scheint einen Schützen zwischen sich zu verstecken, und so ist es schwierig für unsere Ritter Aeris, sich ihnen zu nähern. Diese Waffe ist das einzige Stück, das wir in den letzten zwei Jahren in die Hände bekommen haben - und der Cane, der sie benutzt hat, konnte fliehen.«
»Hauptmann«, meldete sich der Hohe Fürst Placidus mit seiner volltönenden Stimme, »könntest du uns vielleicht eine Vorstellung davon vermitteln, wie wirksam diese Waffen sind?«
»Man kann mit ihnen nicht so genau zielen, wie ein guter Ritter Flora schießen kann, Hoheit«, antwortete Tavi. »Aber es fehlt nicht viel. Und die Durchschlagkraft macht es wieder wett. Da sie offensichtlich Befehl haben, sich erst zu offenbaren, wenn unsere Ritter auftauchen, haben sie sich als höchst wirkungsvolle Abwehrmaßnahme erwiesen.«
»Gut, angenommen, dieses … Spielzeug verleiht einem Cane die gleiche Kampfkraft wie einem Ritter Flora«, sagte Arnos, und sein Ton verriet, dass er das eigentlich für unmöglich hielt, »brauchst du doch nur ähnliche taktische Maßnahmen einzuleiten, um sie an dem Einsatz dieser Waffen zu hindern.«
»Es gibt da einen Unterschied: Nasaug verfügt über eine große Zahl Canim, die er am Balestrum ausbilden kann«, sagte Tavi. »Unsere Zahl an Rittern ist äußerst begrenzt, und wir können uns keine Verluste erlauben.«
Tavi wandte sich an den Rest der Versammlung. »Diese Waffe hat den Verlauf des Konflikts natürlich nicht allein so stark beeinflusst. Ich habe sie nur als Beispiel dafür vorgebracht, dass wir es bei den Canim mit einem verschlageneren, erfinderischeren und besser ausgerüsteten Gegner zu tun haben, als wir zuvor glauben wollten.«
Arnos gab einen abfälligen Laut von sich. »Sollen wir also annehmen, wir wären in den Kämpfen, die wir seit Jahrhunderten gegen diese Tiere führen, einfach zu blind gewesen, um zu erkennen, was wir vor uns hatten?«
Tavi schüttelte den Kopf. »Die Canim, mit denen Alera es bisher zu tun hatte, waren nie so gut aufgestellt und nie so zahlreich. Außerdem haben wir es vor diesem Einfall nicht mit so vielen Angehörigen der Kriegerkaste zu tun gehabt.«
»Mir ist die ganze Lage ein Rätsel«, sagte der Hohe Fürst Cereus. Er strich sich mit den langen Fingern seiner mit Leberflecken
übersäten Hand über den nahezu kahlen Schädel. »Das Verhalten dieser Wesen ist so ganz anders, als wir erwartet hätten. Meine Adligen und Soldaten berichten, diese Canim würden Aleranern gestatten, die besetzten Gebiete unbehelligt zu verlassen, solange sie nur in Frieden gehen.«
»Eindeutig ein Zeichen, dass sie die Lage nicht im Griff haben«, warf Senator Arnos ein und erhob sich. »Und ein klarer Hinweis auf ihre strategische Unfähigkeit. Kein kluger Kommandant würde auf ein so wichtiges Druckmittel verzichten, und auf gar keinen Fall überlässt er es dem Feind.« Er wandte sich der Versammlung zu.
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