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Der Puls von Jandur

Der Puls von Jandur

Titel: Der Puls von Jandur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mara Lang
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weiter schlimm. Er hatte ohnehin Mühe, all die Wunderlichkeiten Jandurs in seinem Kopf einzusortieren.
    Liths Eltern waren verblüfft gewesen, als sie hörten, dass man in seiner Welt unter dem Puls etwas ganz anderes verstand. Sie hatten damit gerechnet, selbst einzigartig zu sein, das schon, doch einen Puls müsse ja wohl jeder haben. Dem sei nicht so, hatte Matteo erwidert und vergeblich nach etwas Vergleichbarem gesucht.
    Was konnte man im weitesten Sinn als Puls bezeichnen? Die Seele eines Menschen? Seine Aura? Am ehesten eine Mischung aus beidem. Demzufolge strahlten also auch sämtliche Lebewesen in seiner Welt eine entsprechende Art von Energie aus. Khors Puls musste seinem identisch gewesen sein, genauso wie sie einander äußerlich fast glichen. Anscheinend hatte Lith ihn auf diese Weise aufspüren können.
    Matteo jedenfalls konnte seinen Puls nicht spüren. Auch das sei ungewöhnlich, hatte man ihm gesagt. Jeder könne seine eigene Energie wahrnehmen, aber wahrscheinlich liege es daran, dass er bis vor kurzem nichts davon geahnt habe. Das klang logisch.
    Gedankenverloren öffnete Matteo die Knöpfe seiner Weste und schob das Hemd hoch. Da war es, das grüne Narbengewebe auf seiner Haut. So absonderlich und rätselhaft. Welche Macht steckte in ihm? Im Lichtpuls?
    Behutsam tastete er über die Rillen, fuhr die Umrisse nach und erschrak, als er eine Bewegung zu seiner Linken wahrnahm – Lith. Rasch bedeckte Matteo seinen nackten Bauch.
    Sie setzte sich zu ihm an die Kante. »Soplex.«
    »Was?«
    »Es heißt Soplex. Das Zentrum des Pulses. Das, was du mit großen Augen betrachtest.«
    »Dir auch einen schönen guten Morgen«, schnaubte Matteo. Woran lag es eigentlich, dass Lith allein durch ihre Anwesenheit und ein paar Worte Ärger in ihm entfachte?
    »Guten Morgen«, erwiderte sie, ein wenig schuldbewusst wie ihm schien. »Gut geschlafen?«
    Na also, geht ja . »Danke, wie tot. Und du?«
    »Mhm.« Sie blickte an ihm vorbei. Eben fächerten die ersten Sonnenstrahlen über den Bergkamm und schenkten der Natur wieder Farben. Der Himmel über Wien zeigte niemals ein solch knalliges Blau. Fraglich, ob es überhaupt derselbe Himmel war.
    Lith sagte nichts mehr und Matteo befasste sich mit dem eben gelieferten Puzzleteil. Soplex – Solarplexus? Davon hatte er in Biologie gelernt. Ein Nervengeflecht, allerdings lag es im Bauchinneren und an seine genaue Aufgabe konnte er sich nicht erinnern. Schon lustig, wie sich manche Begriffe ihrer Welten ähnelten. Fascia, Soplex …
    »Tut mir leid, dass ich dich nicht gleich aufgeklärt habe«, brach sie endlich ihr Schweigen. »Über den Puls und die Squirre und so. Das alles ist sicher nicht leicht für dich.«
    Nanu, Verständnis? Das war ja ein ganz neuer Zug. Er antwortete nicht.
    »Schwierig, das alles zu begreifen, mit einem fremden Körper leben zu müssen, hier in Jandur zu sein. Ganz allein, ohne Eltern und Freunde. Meinte Mama.«
    »Ah.« Daher wehte der Wind. »Und was denkst du?«
    »Dass sie wohl Recht hat. Also, ich will versuchen, etwas einfühlsamer zu sein.«
    Lith bot ihm die Hand und Matteo ergriff sie zögernd. Sie war trocken und warm, der Händedruck fest. Er registrierte ein sachtes, völlig unsinniges Prickeln in seinem Bauch. Verstört zog er die Hand zurück. »Schon gut.«
    »Wir werden essen und aufbrechen. Je schneller wir hier weg sind, desto besser.«
    »Warum?«
    »Nadors Truppen. Der Lord wird vor nichts zurückschrecken. Er könnte hier auftauchen, die Felsen belagern lassen, die Squirre aushungern, bis wir uns ergeben. Solange wir hier sind, gefährden wir die Gemeinschaft. Komm mit.« Sie sprang auf. »Ähm, kommst du bitte mit?«, korrigierte sie sich, als er ihr einen schiefen Blick zuwarf.
    »Aber gern, wenn du mich so höflich bittest.« Matteo folgte ihr grinsend.
    Lith führte ihn in eine geräumige Wohnhöhle, die sogar eingerichtet war. Mit Fellen bestückte Bänke und ein Tisch mit mehreren Hockern bildeten eine Sitzgruppe. Gegenüber gab es eine Art Küchenzeile voller Geschirr: Kessel, Pfannen, Schüsseln, Teller, Krüge, Becher und Holzbesteck. Der Höhleneingang zum Tal war zur Hälfte mit Teppichen verhängt, die wohl den Wind abhalten sollten. Auch auf dem Felsboden lagen Teppiche. Alles war so bunt und die Höhle wirkte lebensfroh.
    An der Wand entdeckte Matteo ein Musikinstrument, das wie eine Ukulele aussah, daneben hingen einige Flöten. Offenbar musizierten die Squirre gern. Ob sie auch Bücher kannten? Konnten sie

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