Der Puls von Jandur
presste sie hervor. »Ich tue, was ich kann, das wisst ihr, ich …« Hilflos brach sie ab. Dieser Veloy bedeutete ihr etwas, so viel war klar.
»Das war keine Anschuldigung«, sagte Hlanda sanft.
»Weiß ich. Ich finde ihn. Versprochen.« Sie nickte Matteo zu. »Gehen wir.«
Sie verließen das Höhlensystem durch einen der vielen Zubringergänge und wanderten über den Pfad bergan. Diesmal konnte Matteo mit Liths Schritt mühelos mithalten. Er geriet noch nicht einmal außer Atem. Sein Körper hatte sich in der Nacht vollkommen regeneriert, er fühlte sich erholt und ausgeruht und erstmals den Anforderungen des neuen Tages gewachsen. Sogar die Stelle am Abgrund, vor der er sich insgeheim ein wenig gefürchtet hatte, bewältigte er ohne Zaudern. Nachdem sie sich von Guney verabschiedet hatten und sich an den Abstieg ins Tal machten, wagte Matteo die eine Frage zu stellen. Jene, die bereits Löcher in sein Denken brannte.
»Wer ist Veloy?« Und wo ist er? Und warum? Das fragte er nicht, er konnte froh sein, wenn Lith sich überhaupt zu einer Antwort herabließ.
Sie tat es prompt. »Mein Bruder.«
Auf die zugehörige Erläuterung hingegen musste er warten. Drei Kurven lang. Dann sagte sie: »Wir sind Zwillinge – liegt in der Familie – und da ist etwas, das uns verbindet. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, aber er ist wie ein Teil von mir. Und … er fehlt mir. Er ist verschwunden. Seit dreieinhalb Monden haben wir nichts von ihm gehört. Wir fürchten, dass er den Quellbrüdern in die Hände gefallen ist.«
Sieben
Der Quellbruderschaft in die Hände zu fallen war so ziemlich das Schlimmste, was einem Squirre passieren konnte. Das hatte er Lith noch entlocken können, bevor sie auf die Schlangenläufer gestiegen waren. Mehr schon nicht mehr, und nun, da sie über die tiefgrünen Nadelwälder hinwegfegten, durfte sich Matteo in schrecklichen Bildern ausmalen, was diese ominöse Bruderschaft wohl mit Veloy anstellte. Muntere Folterszenarien kamen ihm in den Sinn, mit Daumenschrauben, Streckbänken, Peitschen und dergleichen mehr, und er verfluchte Lith für ihre Wortkargheit. War das ein Charakterzug von ihr oder versorgte sie ihn absichtlich nur mit den allernötigsten Informationen? Sie war einfach ein seltsames Mädchen, durch und durch.
Über ihr heutiges Ziel hatte sie ihm auch nichts verraten, nur, dass sie gegen Nachmittag die Smaragdflüsse überqueren würden. Wann sie denn bei der Kaiserin ankämen, hatte er sie gefragt, und Lith hatte mit den Schultern gezuckt und sich zu einem knappen »Hoffentlich bald« hinreißen lassen. Sehr hilfreich.
Mit einem Seufzen löste Matteo eine Hand vom Flügelansatz des Schlangenläufers und rubbelte über seinen Kopf. Seine Haut juckte vom Schweiß, er sehnte sich nach einer Dusche und frischer Kleidung. Nach einem Deo und am allermeisten nach seiner Zahnbürste. Herrgott, er wollte endlich nach Hause! In seinem Bett schlafen, Games am Computer spielen, Musik hören. Selbst die Schule hatte etwas Verlockendes.
Stattdessen saß er auf diesem Untier – das ihn zur Begrüßung auch heute wieder angefaucht hatte – und machte sich Gedanken über so abartige Dinge wie Soplex, Fascia oder Quell.
Die Quellbrüder. Was hatte es mit dieser Glaubensgemeinschaft auf sich? Gebet und Segnung klangen relativ normal, ebenso dass die Gläubigen in einem Tempel zusammenkamen. Doch was sollte er sich unter dem Quell des Lebens vorstellen? Eine Flüssigkeit mit besonderen Kräften? Oder bloß gesegnetes Wasser, dessen Wirkung sich allein durch den Glauben entfaltete?
Was ihn wirklich irritierte, war die Verfolgung und Ermordung Ungläubiger, von der Ansho erzählt hatte. Unvorstellbar, dass man Menschen tötete, weil sie sich nicht zum Glauben bekannten. Wie rückständig war dieses Land? Und was sollte man von einer Herrscherin halten, die dies billigte?
Matteo starrte nach unten. Die unberührten Wälder erstreckten sich kilometerweit gegen Osten. Keine Städte, Dörfer, ja noch nicht einmal Häuser. Da waren nur Bäume, Bäume und nochmals Bäume. Allerdings kein Nadelwald mehr, nun beherrschten Laubbäume das Bild.
Von Lord Nadors Truppen fehlte jede Spur, was nicht weiter verwunderlich war, bot der Wald doch ausgezeichnete Deckung. Aber womöglich war der Lord mit seinen Truppen längst weitergezogen und plante einen Hinterhalt. Bestimmt rechnete er damit, dass sie zum Palast der Kaiserin unterwegs waren, und damit kannte er ihre Flugroute. Was lag näher, als
Weitere Kostenlose Bücher