Der Puls von Jandur
Verletzung kümmern.« Damit drehte er sich um und ging aus dem Zelt.
Matteo sackte in sich zusammen. Die Wut war weg, hatte ein riesengroßes Loch hinterlassen. Da war nur noch Leere. Er war so erschöpft. Und einsam.
Der Schnitt sah grausam aus. Richtig tief. Noch immer quoll das Blut aus der Wunde, er tupfte es mit der Decke ab, aber der Effekt war gleich null. Da hatte er ganze Arbeit geleistet. Und er hatte sich das Messer in den Oberschenkel rammen wollen! In einem Land, in dem die Medizin auf dem Stand des Mittelalters war. Wie konnte man nur so blöd sein!
Der rote Vorhang spuckte Lev-Chi aus, gefolgt von einem Soldaten mit einem Wassereimer. Der Asiate trug heute keinen Kimono, sondern einen Anzug aus schwarzer Seide, sein geflochtenes Haar war am Kopf zu einer Schnecke gewunden und mit zwei hölzernen Stäben festgesteckt. Wie Essstäbchen sahen sie aus.
Er bedeutete dem Soldaten, den Eimer neben Matteos Bett abzustellen und wartete, bis der Mann sich wieder zurückgezogen hatte. Dann hockte er sich auf den Schemel, legte einen Lederbeutel vor sich ab und nickte auffordernd.
Matteo streckte seinen Arm aus.
Lev-Chi begutachtete die Wunde mit einem oberflächlichen Blick. Er nahm ein Holzkästchen aus dem Beutel, einen Metalltiegel, ein Stoffsäckchen, schließlich ein paar Leinentücher. Alles ganz bedächtig, eines nach dem anderen. Er öffnete das Säckchen und streute eine Prise weißes Pulver in den Wassereimer. Etwas Desinfizierendes? Das konnte Matteo nur hoffen.
Der Asiate tauchte ein Tuch ins Wasser und wusch das Blut ab, dann streute er das Pulver auch auf den Schnitt, was höllisch brannte. Immer noch hatte er kein Wort von sich gegeben. Er platzierte Matteos Hand auf seinem Oberschenkel und klappte das Holzkästchen auf.
»Oh nein«, sagte Matteo, als er den Inhalt sah. Den krabbelnden, wuselnden Inhalt. Ameisen. »Was soll das werden?«
»Ich muss die Wunde schließen«, erklärte Lev-Chi ungerührt. »Ihr wollt sicher nicht, dass sie sich entzündet, Herr.«
»Und womit? Doch nicht etwa …«
»Eine zweifellos einfache und effektive Methode, Herr.« Zielsicher fasste er nach Matteos Hand, bevor er sie wegziehen konnte. »Ich wäre dankbar, wenn Ihr mir die Arbeit erleichtert. Dazu müsst Ihr Euren Arm bitte ruhig liegenlassen, Herr.«
»Nennen Sie mich nicht immer Herr . Ich heiße Matteo.«
»Wie Ihr wünscht, Herr … Matteo .«
Matteo seufzte. »Und Sie sind sicher, dass das funktioniert?« Gerade erst hatte der Mann Larven aus seinem Körper geholt und jetzt wollte er Ameisen in ihn … Ja, was? Einpflanzen?
Argwöhnisch beobachtete er, wie Lev-Chi eine der Ameisen aus dem Kästchen fischte. Rotbraun war sie und von beachtlicher Größe.
»Ich bin sicher, Herr.« Lev-Chi quetschte den Schnitt mit der freien Hand zusammen und brachte die Ameise darüber in Position. Sie zuckte in seinen Fingern, als röche sie das Blut. Und vielleicht tat sie das auch. »Stillhalten, bitte.«
Matteo hielt still, obwohl er am liebsten aufgesprungen und davongerannt wäre. Die Scheren der Ameise zwickten in seine Haut und zogen die Wundränder aneinander, ihr Hinterleib wackelte. Gleich darauf riss Lev-Chi ihren Körper entzwei und der verbliebene Rest auf Matteos Arm rührte sich nicht mehr. Schon hatte der Asiate das nächste Tier parat. Matteo verstand: eine interessante Variante von Wundklammern.
Ganze achtzehn Ameisen mussten ihr Leben lassen, dann war der Schnitt geschlossen. Pochende Schmerzen wälzten sich über Matteos Arm. Lev-Chi strich eine grünliche, nach Kräutern duftende Paste darüber, dann machte er sich daran, einen Verband anzubringen.
»Es wäre mir sehr recht«, sagte er, während er arbeitete, »wenn Ihr Euch in Zukunft ein wenig vorsehen würdet, Herr. Damit ich Euch nicht ständig verarzten muss.«
»Keine Sorge«, sagte Matteo, »das war bestimmt das letzte Mal.« Er hatte nicht vor, noch länger in diesem Lager zu bleiben. Er würde Lith suchen und dann würden sie fliehen. Wie, wusste er nicht, aber Lith würde schon etwas einfallen.
Lev-Chi wog den Kopf. »Ihr solltet etwas essen, Herr. Vor Eurem nächsten Fluchtversuch, meine ich.«
Matteo entwich ein Stöhnen. Konnte der Kerl Gedanken lesen?
»Seine Lordschaft ist untröstlich seit Khors Tod. Er schläft kaum noch, isst nicht. Er wird noch daran zu Grunde gehen.«
Weshalb erzählte er ihm das?
»Seine Lordschaft«, sagte Matteo höhnisch, »hätte Khor besser in Frieden ruhen lassen sollen. Dann müsste
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