Der Puls von Jandur
er sich nicht mit mir herumschlagen. Und Sie auch nicht.«
Lev-Chi verknotete die Enden des Verbands. »Ihr wisst nichts über Lord Nador oder dieses Land, Herr. Wie könntet Ihr auch. Ihr begreift die Zusammenhänge nicht. Es war Khors letzter Wille. Finde eine Lösung, Vater, flehte er vor seinem Tod. Damit das alles nicht umsonst gewesen ist. Er war ein tapferer junger Mann, ein guter Krieger. Eine Schande, dass er starb. Seine Lordschaft wollte Euch da nicht mit hineinziehen. Er war bereit, aufzugeben, der Kaiserin ein Friedensangebot zu unterbreiten und auf all ihre Forderungen einzugehen. Es wäre die logische Konsequenz gewesen und sie hätte zugestimmt, davon bin ich überzeugt. Denn ohne Lichtpuls war ihr Traum geplatzt. Mit Khors Tod hatte sie alles verloren.«
Moment. Hatte ihn Nador nicht gerade eben gewarnt, dass die Kaiserin ihn töten würde? Weshalb sagte Lev-Chi nun, sie habe mit Khors Tod alles verloren? Und wieso eigentlich töten? Den Lichtpuls? Der alles Böse zerstören konnte?
Matteo verstand nur Bahnhof. Spielte denn hier jeder nur Katz und Maus mit ihm? Lith, Nador und jetzt auch Lev-Chi? Durfte er überhaupt jemandem trauen?
Eines war sicher: Lev-Chi brachte in ihm eine Saite zum Klingen, auf die er lieber nicht hören wollte. Mitgefühl. Für den Lord. Das war schlecht. Ganz schlecht.
Lev-Chi sah auf. »Doch die Kaiserin ist nicht dumm. Es bestand die Gefahr, dass sie sich selbst auf die Suche nach Euch machte. Und Euch auf ihre Seite zöge. Soweit durfte es Lord Nador nicht kommen lassen.« Seine Augen waren jetzt ganz schmal, funkelndes Schwarz schlug aus den Schlitzen hervor und fing Matteos Blick. Er konnte sich nicht abwenden. »Ich werde Euch nicht aufhalten. Ihr müsst Euren Weg selbst finden. Doch was immer Ihr vorhabt, Herr, seid auf der Hut. Nichts ist, wie es scheint.«
Ja, zu diesem Schluss war Matteo auch gekommen.
Ihm blieb nicht viel Zeit, über Fluchtpläne nachzudenken. Kaum hatte Lev-Chi das Zelt verlassen, erschien der nächste Schatten im Eingang – Saya, seine Tochter, ein Kleiderbündel in den Armen haltend. Erschrocken zupfte Matteo an der Decke. Das fehlte noch, wenn sie ihn nackt sah.
Den Kopf unterwürfig gesenkt eilte Saya herbei. In ihrer langen, gelb geblümten Hose, die unter ihrem hellblauen Kleid hervorblitzte, und mit den aufgetürmten Haaren sah sie aus wie eine Geisha. Fehlten nur noch die weiße Schminke und die blutroten Lippen.
Warum war sie überhaupt hier, in diesem Lager? Das war doch gefährlich für so ein junges Mädchen.
Vor Matteo machte sie einen Knicks. »Ich habe Kleider für Euch, Herr«, sagte sie, ohne dabei aufzusehen. Offensichtlich hatte ihr Vater ihr eingetrichtert, wie sie sich Matteo gegenüber zu benehmen habe. Keine Rede mehr von Khor und du und auch keine Küsse.
Unwillkürlich musste Matteo grinsen. Schon zwei Mädchen, die ihn geküsst hatten. Er war begehrt. Vielleicht … vielleicht ließe sich das ausnutzen.
»Danke«, erwiderte er. »Leg sie einfach hin.«
Sie gehorchte, knickste wieder und wollte sich entfernen.
Matteo räusperte sich. »Saya. Das ist doch dein Name, oder?«
Das Mädchen hielt inne. »Ja. Ihr wünscht, mein Herr?«
»Du musst mir helfen. Bitte«, fügte er hinzu, als er ihre verschlossene Miene bemerkte.
»Das darf ich nicht, Herr.«
»Schon klar. Aber … du magst mich doch, stimmt’s? Oder zumindest mochtest du Khor.«
Die Worte taten ihre Wirkung. Sayas Augen schwammen, sie nickte unglücklich.
»Dann hilf mir bitte.« Matteo deutete auf den Schemel. »Setz dich.«
Sie kam seiner Aufforderung nach. Eingeschüchtert saß sie da, wischte sich verstohlen die Tränen aus den Augenwinkeln.
»Weißt du, wo Lith ist? Die Squirra?«
»Ich darf nicht darüber sprechen.«
»Saya, bitte. Du brauchst auch nicht sprechen. Es reicht, wenn du nickst.«
Sie nickte zaghaft.
»Ist Lith hier im Lager?«
Ein Nicken.
»In einem Zelt?«
Das nächste Nicken.
»Ist es weit?«
Ein Zögern, dann ein Kopfschütteln.
»Kannst du mich hinbringen?«
Wieder schüttelte Saya den Kopf. »Nein«, flüsterte sie. »Wenn der Lord das erfährt …«
»Er muss es nicht erfahren.«
»Überall sind Wachen.«
»Und in der Nacht?«
Sie zuckte die Achseln. »Manchmal schlafen die Wachposten ein. Vor allem, wenn sie Wein trinken.«
Matteo zwinkerte ihr zu. »Nun, ein bisschen Wein soll ja gesund sein.«
»Dies ist Lord Nadors Zelt. Er wird bemerken, dass Ihr Euch rausschleicht.«
»Hm.« Das war allerdings
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