Der Puls von Jandur
die Squirra mit dir hin? Zur Kaiserin, nehme ich an. Vermutlich hat sie dir eingeredet, dass Dylora dir helfen würde, wieder nach Hause zu gelangen. Sie tut, als wäre sie deine Retterin, dabei schickt sie dich in die Höhle des Löwen. Und warum? Was steckt dahinter? Hast du dir jemals überlegt, was sie davon hat? Auf wessen Seite sie steht?«
Matteo versuchte sich nichts anmerken zu lassen, aber Nadors Worte schnitten tief. Wie oft hatte er sich diese Frage in den letzten Tagen gestellt?
»Lith verfolgt ihre eigenen Ziele«, fuhr der Lord fort. »Ich weiß nicht genau welche, doch sie spielt falsch. Du darfst ihr nichts glauben, sie lügt.«
»Wie lustig, das Gleiche behauptet sie von Ihnen.«
»Ach ja? Was hat sie dir über mich erzählt? Dass ich das Scheusal bin und Dylora die Unschuldige? Ich habe dich nicht belogen, von Anfang an habe ich dich über deine Bestimmung aufgeklärt. Erinnerst du dich? Ich habe dir von der Prophezeiung berichtet.«
Das war nur zum Teil richtig, ein paar Kleinigkeiten hatte Nador ihm vorenthalten. Dass Matteo im Körper seines Sohnes steckte, zum Beispiel. Dass er Lith erpresst hatte. Dass er den Krieg angezettelt hatte. Aber all das konnte Matteo dem Lord nicht sagen, also blieb er still.
»Weißt du, Matteo«, sagte Nador, »diese vertrackte Angelegenheit ist auch für mich alles andere als einfach.« Abrupt stand er auf und begann wieder wie ein gefangenes Tier durch das Zelt zu stromern. »Ich habe meinen Sohn verloren, und doch … sitzt er hier vor mir. In gewisser Weise. Und was ich auch anstelle, er vertraut mir nicht. Er flieht vor mir, als wäre ich sein Feind. Aber das bin ich nicht.« Er blieb stehen und starrte Matteo eindringlich an. »Ich will dir nichts Böses.«
Matteo schnaubte verächtlich. »Nichts Böses? Sie sagten, dass ich die Kaiserin töten müsse.«
»So ist es. Dylora muss vernichtet werden. Und ja, es ist deine Aufgabe.«
»Das ist es nicht! Sie haben mich in dieses Land verschleppt. Gegen meinen Willen. Haben Sie mich denn gefragt, ob mir das in den Kram passt?«
»Nein, ich …« Nador keuchte auf. »Das habe ich nicht. Aber hier geht es um ein höheres Ziel. Um Jandur. Um Menschenleben.«
»Und was ist mit meinem Leben?«
»Eines im Vergleich zu Tausenden. Du wirst dem Land den Frieden bringen.«
»Und Ihnen die Macht«, rutschte es Matteo heraus. »Das wollen Sie doch. Die Kaiserin stürzen!«
»Verflucht noch eins!«, brüllte Lord Nador ganz unerwartet und ballte die Hände zu Fäusten. »Das hat sie dir eingetrichtert!«
»Und? Ist es etwa nicht die Wahrheit?«
»Diese kleine, falsche Schlange! Ich lasse sie hinrichten!«
»Nein!«, schrie Matteo. »Niemals!«
»Was willst du dagegen tun? Hm? Du bist hier in meinem Lager, umzingelt von meinen Soldaten! Du kannst nichts tun. Nichts. Sie ist tot, bevor du es überhaupt mitbekommst.«
»Damit zeigen Sie, dass Sie wirklich ein Monster sind«, gab Matteo zurück. Vergessen war die Vorsicht, hier ging es um Liths Leben. »Sie haben den Krieg begonnen, Sie wollen auf den Thron, nur darum geht es Ihnen. Deshalb wollen Sie Dylora tot sehen. Sie wollen mein Vertrauen? Sie haben es gerade auf immer zerstört.«
Der Lord machte ein Gesicht, als wollte er Matteo an die Gurgel gehen. Er bebte am ganzen Körper, eine wulstige Ader pochte an seiner Schläfe und seine Lippen waren fast weiß, weil er sie mit aller Gewalt aufeinanderpresste.
Eine Erinnerung an Brizio wallte heiß in Matteo auf. Nur einmal hatte er den Vater so außer sich gesehen, an jenem Abend, als er stockbetrunken nach Hause gekommen war und Andrea ihn im Flur abgepasst hatte. Das Geschrei der Eltern hatte die Wände wackeln lassen. Matteo war aus dem Bett gekrochen und hatte die Szene durch den Türspalt beobachtet. Ich will die Scheidung! , hatte Andrea gekreischt, und Brizio hatte sie an den Schultern gepackt und geschüttelt. Matteo hatte den wilden Ausdruck in seinen Augen nie vergessen können.
Die Stille wog schwer. Wurde nur unterbrochen durch Nadors heftige Atemzüge und den Diener, der das Essen brachte. Wie ein Geist huschte er herein, stellte das Tablett vor Matteo ab, verbeugte sich und nahm wieder Reißaus. Bestimmt zerrissen sich die Soldaten bereits das Maul über sie.
Der Lord kämpfte um Beherrschung. »Iss!«, stieß er hervor.
Die Speisen sahen verlockend aus – kross gebratenes Fleisch, frisches Fladenbrot, hellrosa Fruchtspalten –, doch Matteo war der Appetit vergangen. Noch immer hing Nadors
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