Der Puls von Jandur
das. Bin ich hier ein Gefangener, oder was?«
Wieder keine Antwort. Neugierig linste Matteo an ihnen vorbei. Das Lager schien riesig zu sein. Die Zelte schmiegten sich aneinander wie Bauklötze in einem Karton, hinter der ersten Reihe stand eine weitere und dahinter wieder eine – ein Meer an weißen Planen. Banner hingen neben den Eingängen, rot-schwarz-rot gestreift mit einer goldenen Sonne darauf, und auf den Zeltspitzen flatterten ebensolche Wimpel im Wind. Überall waren Wachen postiert und Matteos Hoffnung, in der Nacht ungesehen aus dem Lager entkommen zu können, schwand. Er konnte sich nur auf Sayas Einfallsreichtum verlassen. Und auf Lith.
Ein Soldat näherte sich. Eine simple Geste seinerseits ließ die Wachposten stramm stehen, die Lanzensperre öffnete sich. Der Mann musste einen höheren Rang haben, seine Uniformjacke war schwarz und nicht wie bei den anderen beige.
»Junger Herr«, sagte er mit einem offenen Lächeln, das sich in seinen wasserblauen Augen wiederholte, »Lord Nador hat mich beauftragt, Euch das Lager zu zeigen, falls Ihr das wünscht. Mein Name ist Darak, ich bin Offizier und Ausbilder.«
Der blonde Mann mit den Wuschellocken und dem Dreitagebart war Matteo gleich sympathisch. Er sah so gar nicht aus wie ein Offizier, mehr wie ein Junge, der eine ganze Menge Flausen im Kopf hatte.
»Ja, gern«, sagte Matteo und schlug in die dargebotene Hand ein.
»Gut, dann kommt mit.«
Sie schlenderten durch die staubige Hauptstraße. Der Wind fegte in Böen heran und spielte mit Sand und Steinchen, legte den Geschmack der Wüste auf Matteos Zunge. Die Nachmittagssonne verbarg sich jetzt hinter Dunstschleiern, was die Hitze erträglicher machte.
Im Lager herrschte reges Treiben. Junge Männer, kaum älter als Matteo und alle mit der typisch beigen Uniform bekleidet, marschierten von hier nach da und schienen schwer beschäftigt zu sein. Sie schleppten Wassereimer, Sättel, Waffen, Säcke, Feuerholz, Werkzeug oder auf lange Spieße gesteckte Schweine und Hasen. Gerade erst geschlachtet und zum Braten vorbereitet, wie Darak erklärte. In dieser Gegend sei es einfacher, die Tiere durchzufüttern, als täglich auf die Jagd zu gehen.
In einem offenen Zelt hatte ein Schmied seine Werkstatt eingerichtet, mit dem Hammer bearbeitete er die rotglühende Klinge eines Schwertes. Zwei Zelte weiter trafen sie auf einen Barbier, der mit gewandten Bewegungen einen Mann rasierte. Drei Soldaten waren angestellt, und Darak fuhr sich grinsend über sein Kinn, das eine Rasur bitter nötig hatte.
Es gebe auch einen Schneider, einen Koch, einen Sattler, einen Schreiber, einen Zimmermann und was sonst noch so alles gebraucht werde, erzählte er. Fast wie in einer Stadt. An die hundertachtzig Mann beherberge das Lager momentan und es sei nicht ihr Hauptstützpunkt. Der liege nordöstlich, an der Front. Dort werde andauernd gekämpft, aber hier müsse Matteo keine Sorge haben. Es sei mehr ein Ausbildungslager.
An einer Arena machten sie halt. Die festgestampfte Erde war kahl, nur am Rand behaupteten sich einige hartnäckige Grasbüschel. Eine Staubwolke lag über dem Platz. Hier wurden Trainingskämpfe abgehalten, gut zwanzig Soldaten waren im Einsatz, weitere zwanzig saßen oder standen im Halbkreis um sie herum. Sie sollten genau zusehen und Fehler entdecken, um es später besser zu machen, erfuhr Matteo von Darak. Es werde ständig gewechselt, damit die Männer lernten, sich auf die unterschiedlichsten Gegner einzustellen.
Die Anfänger kämpften mit Holzschwertern, die erfahrenen Krieger traten mit echten Waffen gegeneinander an. Alle trugen sie Brustpanzer aus Metall, manche auch Helme und Kettenhemden. Mitten im Gewühl erspähte Matteo Lord Nador. Er ging umher, gab knappe Anweisungen und korrigierte Haltung oder Schwertführung.
»Er unterrichtet seine Leute persönlich?«, fragte Matteo erstaunt.
»Ja, immer wieder mal.« Darak hob die Hand zum Gruß, als Nador ihm zunickte. »Der Lord ist ein ausgezeichneter Schwertkämpfer und Lehrer. Die Männer können sich glücklich schätzen, von ihm lernen zu dürfen.« Sein Gesicht machte deutlich, dass das nicht bloß dahingesagt war. Darak bewunderte den Lord. »Ihr könntet selbst ein bisschen trainieren«, schlug er ganz unerwartet vor. »Habt Ihr Lust?«
»Ich?« Matteo hob abwehrend die Hände. »Nein, lieber nicht. Ich habe doch überhaupt keine Ahnung vom Schwertkampf.«
»Das macht nichts, ich kann es Euch beibringen. Ihr bekommt ein hübsches
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