Der Puls von Jandur
Crouweks. Lith schrie.
Das Barca schob mit der Hinterhand rückwärts, keilte mit beiden Beinen aus und schleuderte den Wolfsmenschen gegen das Gatter, so dass die Holzbalken brachen. Der schnellte wieder hoch, tänzelte um das Barca herum, immer darauf bedacht, außer Reichweite der Hufe zu bleiben.
Matteo sah nur noch rotes und graues Fell, verwischte Bewegungen, zu schnell für das Auge. Lith neben ihm atmete schwer. Weg. Sie mussten hier weg. Er schleppte sie weiter, doch sie hing steif wie eine Puppe in seinem Arm, gelähmt vor Schock.
Mit einem Grollen schnappte der Crouwek nach dem Hals des Barcas. Der Soldat zerrte sein Tier am Zügel zurück, gerade noch rechtzeitig. Das Barca spuckte Feuer und drosch mit dem Vorderhuf auf den Crouwek ein. Es knackte, Rippen brachen, sein Fell geriet in Brand. Er keifte wütend auf und warf sich in den Sand um die Flammen auszudämpfen. Das nutzte das Barca, es trat ihm in den Bauch. Einmal, zweimal. Beim dritten Mal biss der Wolf zu und zermalmte das Vorderbein seines Angreifers. Das Barca stürzte und begrub den Soldaten unter sich.
Matteo kam mit seiner Last nicht voran, Lith half kein bisschen mit und tragen konnte er sie nicht. Keuchend hielt er an und beobachtete bestürzt, wie der Crouwek seine Zähne in die Kehle des Barcas schlug. Wieder und wieder. Er riss Fleischstücke heraus, Blut spritzte nach allen Seiten. Der schwere Pferdeleib erbebte, dann war das Barca tot. Der Soldat kämpfte sich auf die Beine, sein Schwert blitzte auf.
»So lauft doch!«, schrie er.
Matteo schleifte Lith ein kleines Stück weiter. Drehte sich wieder um. Es war wie ein innerer Zwang. Dieser Soldat riskierte sein Leben für sie. Er konnte keine siebzehn sein, blonde Haare, schlaksig, kein Helm, kein Schild, ja noch nicht einmal ein Kettenhemd – nur ein Junge mit einem Schwert.
Der Crouwek hatte vom Barca abgelassen und umkreiste den Soldaten mit raschen Schritten. Blut tropfte aus seinem Maul, besudelte seinen Oberkörper. Das unterschwellige Grollen machte deutlich, dass er seinen Gegner nicht verschonen würde. Dann warf er den Kopf zurück und heulte auf – das Zeichen für den Angriff. Seine linke Klaue schoss vor, die Krallen bohrten sich in die Schulter des Mannes, schlitzten Kleidung und Fleisch auf, bis hinunter zur Hüfte. Der Soldat brüllte, hob in einem letzten verzweifelten Akt den Arm und versenkte das Schwert in der Brust des Crouweks.
Im Zusammenbrechen warf die Bestie den Jungen zu Boden, die Krallen glitten über seinen Hals, schnitten tief wie Messer. Ein Blutschwall ergoss sich in den Sand. Der Wolf lag still, auch der junge Mann neben ihm rührte sich nicht, nur das rhythmisch hervorsprudelnde Blut zeigte, dass er noch am Leben war. Dass sein Herz immer noch kämpfte.
Matteo stürzte hin und kniete neben ihm nieder. Der Soldat krallte die Finger in seinen Unterarm, seine Kehle war eine klaffende Wunde. Matteo nahm seine Hand. Er wollte so viel tun, ihn halten, ihm die Furcht und die Schmerzen nehmen, ihm sagen, dass alles gut werden würde. Stattdessen saß er nur da und blickte in diese eisblauen Augen, die ihren Fokus bereits verloren hatten. Der Junge starb.
»Rette uns, Khor«, hauchte er. »Rette Jandur.« Er atmete zitternd aus und seine Lider schlossen sich ein letztes Mal.
»Ja«, murmelte Matteo. »Ja.«
Er bettete die Hand des jungen Mannes auf dessen Herz, sie schien ihm genau dort hinzugehören.
Rette uns, Khor.
Brennender Schmerz fuhr durch seinen Bauch, dort, wo sein Puls saß, und mit ihm ein Gefühl der Zugehörigkeit. So sehr er sich auch dagegen wehrte, was er auch tat, um sich abzugrenzen, es ließ sich nicht länger verleugnen: Er war diesem Land verbunden. Tiefer noch, als er geahnt hatte.
Egal, welche Seite die Gerechtigkeit für sich beanspruchte, egal ob Nadors Absichten gut oder böse waren, in den Köpfen dieser Menschen war er Khor. Er würde es immer sein. Er war ein Symbol der Hoffnung. Und sie lebte, solange er lebte.
Matteo sah auf und in Liths dunkle Augen. Eine Regung flackerte über ihr Gesicht. Etwas hatte sich verändert und sie hatte es bemerkt.
»Er ist tot«, sagte er, obwohl er schreien wollte.
Sie schwieg. Für Matteo die falsche Reaktion. Irgendwie hatte er sich etwas anderes erhofft. Nein, erwartet. Vielleicht ein Nicken. Tränen. Oder ein einfaches Danke an den Jungen, der da vor ihnen im Sand lag. Aber sie blieb stumm und starrte ihn mit zusammengepressten Lippen an.
Matteo atmete durch. »Kannst du
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