Der Puls von Jandur
Euch!«, murrte der. »Nicht wie ein Weib.«
Nur mit größter Mühe brachte Matteo sein Bein über den Hals des Barcas. Reylan schlang ihm den Arm um die Mitte und zog ihn an sich heran. Matteo war beinahe dankbar, sich an seine Brust lehnen zu können. Jegliche Kraft hatte ihn verlassen.
»Ach, Eure Squirra«, wandte sich Reylan an Bruder Lenard, »ist übrigens meine Gefangene. Sie wird in Eznar dienen.«
Mit diesem Abschiedsgruß trieb er das Barca in den Galopp und sie jagten durch die Seitengasse davon. Gefolgt von Reylans Leuten und dem zornigen Aufschrei Lenards.
Kurz nach der Stadtmauer hielten sie an. Wortlos wies Reylan auf die zwischen sanft ansteigenden Hügeln eingebettete Ebene. Sie war ein einziges Schlachtfeld. Hellorange Feuerpilze betupften die Wiesen, Rauch wogte in dichten Schwaden und der Boden bebte unter den Hufen der Barcas. Das Gewimmel der Kämpfer war nicht zu durchschauen, sie waren nur Schatten im schmelzenden Abendlicht. Der Wind bauschte die roten und gelben Fahnen und trug das Klirren der Waffen als todbringende Melodie über das Land.
Das Gebrüll der Crouweks fuhr wie ein Dolchstoß in Khors Herz. Khor, ja. In diesem Augenblick, da Matteo Zeuge des Gefechts wurde, fühlte und dachte er wie Khor – er war Khor. Dies war sein Volk, sein Ursprung. Es waren seine Soldaten, die ihr Leben gaben, sein Vater, der sie anführte.
Lord Nador sei hier mit seinen Truppen aufmarschiert, um Kiraşa zu erobern, erklärte Reylan wie im Einklang mit Matteos Gedanken. Doch die kaiserliche Armee habe die Lage unter Kontrolle. Es könne nicht mehr allzu lang dauern, bis Nadors Heer geschlagen sei.
Das konnte man glauben oder auch nicht. Reylan spuckte gern große Töne, das hatte Matteo schon im Zeltlager bei Othyram mitbekommen. Wir haben längst die Oberhand über diese schwächliche Kompanie - eine Behauptung mit der sich Reylan gründlich geirrt hatte, denn sonst wäre Nador heute wohl kaum hier. Ich finde dich , hatte er gesagt und er hatte Wort gehalten. Ob er ahnte, wie nahe sie einander bereits waren? Und würde Reylans Prognose diesmal eintreffen?
Matteo würgte trocken. Der Rauch biss in seiner Kehle und der metallische Geschmack des Blutes ließ sich nicht aus seinem Mund vertreiben. Mit jedem Atemzug musste er den Tod in sich aufsaugen. Wie sinnlos und grausam war dieses Sterben? Was rechtfertigte den Krieg? Konnte überhaupt irgendetwas einen Krieg rechtfertigen?
Tränen schossen ihm in die Augen, als ihm einfiel, dass er der Grund für dieses Blutvergießen war. Er, der Erlöser, der Lichtpuls. Niemand sonst. Weil die Kaiserin seine unermessliche Energie dem Quell zuführen wollte, um sich selbst zu ewigem Leben zu verhelfen. Und weil Nador dieselbe Energie beschützen musste, damit genau dieser Plan vereitelt werden konnte. Hier stritten zwei Teile um den dritten, jenen Teil, den sie selbst in die Welt gesetzt hatten. Um ihr eigenes Kind, ihren Sohn.
Es war zu verwirrend. Und wie ähnlich doch seine Situation zu Hause war. Kämpften Andrea und Brizio nicht auch um ihren Sohn?
Matteo war Auslöser und Opfer zugleich. Dylora und Nador – beide wollten den Lichtpuls. Sie setzten alles daran, ihr Ziel zu erreichen, und es war ihnen völlig egal, ob er dabei auf der Strecke blieb. Ein Leben im Vergleich zu Tausenden.
Endlich verstand Matteo. Es war tatsächlich seine Bestimmung, die Prophezeiung musste sich erfüllen. Seine Reise würde erst enden, wenn der Lichtpuls seine Aufgabe erledigt hatte. Die Zukunft Jandurs lag in seiner Hand und nach allem, was er in Kiraşa gehört und gesehen hatte, blieb ihm nur eine Wahl.
Nador hatte Recht: Er musste die Kaiserin vernichten. Und dazu musste er ihr gegenübertreten.
Reylan wendete das Barca und hielt auf eine kleine Baumgruppe zu, vor der ein Lager an einer Feuerstelle errichtet war. Die vier Soldaten erhoben sich bei ihrer Ankunft. Matteo entdeckte noch eine weitere Gestalt, die an einen Baum gelehnt mit dem Rücken zu ihnen hockte und sich nicht rührte. War das Lith?
Reylan saß ab.
»Holt die Squirra«, befahl er seinen Männern, »und packt zusammen. Wir brechen auf.«
»Bitte«, sagte Matteo, »darf ich absteigen? Ich muss mal.« Er deutete ins Dickicht zwischen den Bäumen.
Reylan verstand. »Na schön, aber beeilt Euch. Heyden«, er winkte den jungen Soldaten heran, »geh mit ihm und dann gib ihm was zu trinken, bevor er uns noch zusammenbricht.«
Matteo hob die Hände. »Die Fesseln?«
»Mhm«, grunzte Reylan und
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