Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Puppendoktor

Der Puppendoktor

Titel: Der Puppendoktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
Vom Netzwerk:
er nicht niederzukämpfen vermochte, während seine Kollegen in die Gasse strömten.
    »Na, Blanc, das Kantinenessen bekommt dir wohl nicht?«
    Capitaine Jeanneaux, Jean-Jean genannt, von der Kriminalpolizei maß den sich übergebenden Marcel mit einem ironischen Blick. Marcel richtete sich sogleich kerzengerade auf.
    »'tschuldigung, Kommiss … mon Capitaine!«
    Er konnte sich nicht an die neue Amtsbezeichnung gewöhnen und wusste nie, ob man »Capitaine« oder »mon Capitaine« sagen musste.
    Unterdessen nahm Capitaine Jeanneaux die Leiche in Augenschein und wandte sich schließlich ab, ohne dass ein Muskel seines fein geschnittenen gebräunten Gesichts zuckte.
    »Die Schweinereien, die man heutzutage zu sehen kriegt!«, bemerkte er angewidert.
    Undurchdringlich, zynisch und knallhart, so gab sich JeanJean, seitdem er die Abteilung übernommen hatte. Er hatte seine Jugend damit verbracht, harte Kinohelden nachzuahmen, und als Ermittler fühlte er sich Malko Linge näher als Jules Maigret.
    »Costello, halt mir bitte diese Schwachköpfe fern und jag die Köter weg«, sagte er, an seinen Assistenten gewandt, der mit seinem schütteren, schwarz gefärbten, streng zurückgekämmten Haar und seinem dünnen Schnauzbart an einen neapolitanischen Zuhälter erinnerte, ein Metier, dem sein Vater sein Leben lang nachgegangen war.
    Nachdem seine Frau der Syphilis zum Opfer gefallen war, hatte Costello senior seinen Sohn nach Frankreich zu seiner Schwester, einer bigotten Witwe, geschickt, und so war Antoine Costello in den Genuss einer ausgezeichneten Erziehung in einer Klosterschule gekommen. Aber - geerbt oder nicht? - er hatte eine Vorliebe für das Outfit und Gehabe der Zuhälter der fünfziger Jahre, was niemand ihm zu sagen wagte, weil er ein Mann der alten Schule war, dessen größtes Glück darin bestand, Mallarme ins Altgriechische zu übersetzen.
    Lieutenant Costello legte die langen Pianisten- oder Würgerhände zusammen: »Wenn Sie die Güte hätten, sich zu entfernen«, rief er dem niederen Volk zu, das sich zu drängen begann.
    »Wie lehrreich der Anblick auch sein mag, so ist er doch wenig erbaulich«, fügte er hinzu.
    Verblüfft über die gestelzte Sprache dieses Mannes, der offenbar ein bekehrter Zuhälter war und sich darüber hinaus als Bulle herausstellte, wichen die Leute artig zurück.
    Costello hob den kleinen zitternden Hund auf und reichte ihn seiner Besitzerin, die von einer Nachbarin ein Glas frisches Wasser zu trinken bekommen hatte.
    »Dieser dehydratisierte Canidae muss mit Wasser versorgt werden!«, sagte er, an die Nachbarin gewandt, die den Mund auf- und wieder zuklappte und sich fragte, ob Canidae im Polizeijargon »Köter« bedeutete.
    Ramirez, der zweite Assistent von Jean-Jean, beugte seine hundert Kilo über die Leiche, wobei seine dicken Schenkel unter dem leichten Stoff seiner beigen Hose bebten und seine fleischigen Lippen sich öffneten.
    »Chef, Chef, haben Sie gesehen, Chef, der Hund hat die Hand aufgefressen, haben Sie gesehen, Chef?«, keuchte er, hochrot von der Anstrengung, sich wieder aufzurichten, und strich mit den Wurstfingern durch sein graues, schlecht geschnittenes Haar.
    Jean-Jean, der seinen gewöhnlichen und fettleibigen Untergebenen zutiefst verachtete, seufzte, ohne zu antworten, und schnipste ein Staubkörnchen von seinem lachsfarbenen Lacoste-Hemd.
    »Lügner! Niemals würde mein Zouzou so etwas bei einem Mann tun, den er nicht kennt, niemals!«
    Die empörte alte Dame wedelte mit ihrem besudelten Taschentuch unter der Nase von Ramirez, dem fast die Luft wegblieb.
    Jean-Jean klopfte Marcel scheinheilig auf die Schulter.
    »Vielleicht hatte Marcel ja etwas Appetit, was, Marcel?«, sah er sich genötigt hinzuzufügen, und das zum großen Missfallen von Costello, der diese Art von Zynismus nicht ausstehen konnte. »Nun beruhigen Sie sich, meine Dame«, fügte er lebhaft hinzu, »und kommen Sie her. Ich bin Capitaine Jeanneaux, ich nehme Ihre Aussage auf.«
    Der Regen hatte wieder eingesetzt, und als er auf die Leiche tröpfelte, klang das wie ein kleines trauriges Lied. Antoine Costello bekreuzigte sich unter den spöttischen Blicken seiner Kollegen.
    »Wenn du tot bist, bete ich auch für dich«, sagte er zu Ramirez.
    Der presste die Hand auf sein unter der Fettschicht verborgenes Herz.
    »Beschwör kein Unglück herauf, Tony!«
    Der Krankenwagen hielt mit quietschenden Reifen an. Zwei junge Männer in weißen Kitteln sprangen heraus und stießen Marcel beiseite.

Weitere Kostenlose Bücher