Der Puppendoktor
Salon war Papas Arbeitszimmer, das seit seinem Tod im Algerienkrieg verschlossen war. Links das Badezimmer. Mein Haus. Meine Maman. Das Schlafzimmer von Maman. Und darin das Tier. Das Lachen von dem Ungeheuer, der Geruch von dem Tier, Maman, die auf Pierrot hockt, verschweißt mit ihm, wie zusammengenäht.
Die Stimme, die im Dunkeln geschrien hatte, war verstummt. Der kleine Mann drehte den Kopf nach allen Seiten. Die plötzliche Stille behagte ihm nicht. Statt nachzulassen, nahm der Regen noch an Heftigkeit zu. Eines dieser schweren Sommergewitter, unvermittelt wie ein Wahnsinnsanfall und ebenso zerstörerisch. Panik stieg in ihm auf, nahm mit jedem neuen Blitz zu. Der Blitz …
Plötzlich spürte er die Hitze des Feuers so heftig, als hätte die Mauer zu brennen begonnen. Der Blitz hatte eingeschlagen, als er eben mit dem Tier-Pierrot abgerechnet hatte. Der verzweifelte Lauf durchs Haus. Die Vorhänge, brennende Fackeln an den Fenstern. Die Tür war nicht zu erreichen, der Flur durch die hübschen Wandbehänge in eine Feuerzunge verwandelt. Die rustikale Holzküche, lodernd wie ein Scheit. Der Keller! Die schwere Falltür hochklappen, mit aller Kraft ziehen, dass die Muskeln reißen.
Maman! Maman, die wegen der Ereignisse im Schlafzimmer immer noch schrie, Maman, Schlange mit der gespaltenen Zunge, niedergestreckt von dem großen Schrank, der umgekippt war und mit dem Gestank von brennendem Fleisch auf ihrem Gesicht verglühte. Er hatte sie an den Füßen gezogen und bis zur Falltür geschleift, die Treppe hinuntergestoßen. Der Rauch. Nicht atmen. Hustenanfall. Blasen an den Händen, an den Beinen, im Gesicht. Unheimliche Stille im Keller. Die Zementplatte war über seinem Kopf zugefallen, als die Wände der Küche zusammenbrachen. Die eiskalte Treppe. So kalt nach dem Glutofen. Dunkel. Totale Dunkelheit. Auf allen vieren die Treppe hinab, unten ist etwas. Brennende Haut. Maman, Maman, wach auf! Er wird uns nie mehr stören. Ich werde immer bei dir bleiben. Werde dein kleiner Mann sein, wie vorher. Hörst du?! Hörst du? Das Gesicht ganz klebrig, Hautfetzen lösen sich. Maman. Die sich nicht mehr rührt, nie mehr.
Er zitterte wie Espenlaub, und Momo fragte sich, ob der kleine Mann fror. Dabei war der Regen doch lauwarm. Ein heller Fleck im Gras. Momo blinzelte. Der Fleck bewegte sich, kroch im Gras vorwärts und verschwand dann hinter einem Steinhaufen. Ein Gespenst?
Die Stimme aus dem Megafon. Sie kam aus einer anderen Richtung, und der kleine Mann schnellte herum.
»Contadini, komm heraus. Wir tun dir nichts. Ehrenwort. Lass den Kleinen los und komm mit erhobenen Händen heraus.«
Während Costello sprach, pirschten sich Marcel und Jean-Jean näher heran. Plötzlich hatte Marcel eine Idee. Er könnte das Tosen von Wind und Regen nutzen und auf einen Olivenbaum klettern. Von dort aus hätte er die Situation im Blick. Er wusste nicht, ob Paulo bewaffnet war. Den Namen Paulo auszusprechen, auch nur zu denken, fiel ihm schwer. Er konnte nicht glauben, nicht wirklich glauben, dass es derselbe Paulo war, mit dem er täglich seine Späßchen machte.
Als er den nassen Stamm hinaufzuklettern begann, fühlte er sich wie eine Zielscheibe und rechnete jeden Augenblick mit einem Schuss oder einem Schrei von Momo. Aber nichts geschah, und so konnte er, verborgen im silbrigen Laub, seinen Hochsitz einnehmen.
Der kleine Mann dachte blitzschnell.
Sie stürmen die Ruine nicht, weil sie wissen, dass ich den Jungen habe. Sie werden die Ruine nicht stürmen, solange ich den Jungen habe. Aber sie werden versuchen, mich in die Enge zu treiben, Schritt für Schritt, und mir, peng, eine Kugel in den Schädel jagen. Das wollten sie von Anfang an, mir den Schädel öffnen, um ihre Drecksfinger hineinzustecken. Aber das lasse ich nicht zu!
Er drängte sich an die Mauer, Momo als Schutzschild vor sich.
»Noch einen Schritt, und ich schneide ihm die Kehle durch!«, schrie der kleine Mann aus vollem Hals.
Seine Stimme drang schwach durch das Dröhnen des Donners. Jean-Jean rührte sich nicht von der Stelle. Costello griff zu seiner Waffe. Marcel spähte in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Der blasse Fleck dort an der Mauer?
Momo wehrte sich mit allen Kräften. Die Finger des kleinen Mannes legten sich auf seine Lippen. Mit einem Ruck stieß er seine kleinen Zähne in das Fleisch, fest entschlossen, ein Stück herauszubeißen. Paulo versuchte, seine Hand zu befreien, aber Momo hielt durch. Sein erster Impuls war,
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