Der Puppengräber
platziert werden. Zwei der Kugeln stellten dann die Augen einer Katze dar, die dritte bildete die Nasenspitze.
Paul maß dem Spiel keine Bedeutung bei. Mit offensichtlicher Erleichterung nahm Ben die Dose zurück. «Fein macht», sagte er wieder und bewegte sie vorsichtig in der Hand, bis eines der Kügelchen liegenblieb.
Wenige Minuten später erreichte Antonia den Bruch. Sie kam allein und mit dem Wagen, an den Paul im ersten Schreck nicht gedacht hatte. Andreas wartete daheim auf das Eintreffen von Polizei und Notarzt. Er war von seiner Mutter genau instruiert, was er zu sagen und was er zu verschweigen hatte. Nun nutzte Antonia die Zeit, die bis zum Eintreffen der Beamten aus Lohberg blieb, um Bens Spaten im Kofferraum des Wagens verschwinden zu lassen und Paul von der Richtigkeit ihrer Maßnahmen zu überzeugen. «Er hat das nicht getan, Paul! So etwas tut er nicht! Schau doch, er hat sogar versucht, sie zu verbinden mit diesen Blättern.»
Paul war ganz und gar nicht einverstanden, die Polizei zu belügen. Wenn Ben das Mädchen nicht verletzt hatte, würde die Polizei das feststellen, meinte er.
«Und wenn nicht?», fragte Antonia. «Vielleicht halten sie sich an ihm schadlos, nur weil sie keinen anderen finden. Hast du eine Vorstellung, was für ein Gerede es im Dorf gibt, wenn er hiermit in Zusammenhang gebracht wird? Denk doch an Trude. Willst du ihr den Boden unter den Füßen wegziehen?»
Das wollte Paul nicht. Ihm ging auch das Brummen nicht aus dem Kopf, das Ben von sich gegeben hatte. Hatte er versucht, ein Motorengeräusch nachzuahmen? Hatte er vielleicht ein Auto gehört oder sogar gesehen?
«Und wenn schon», sagte Antonia. «Glaubst du, er kann ein Auto beschreiben oder das Kennzeichen nennen? Andreas kann sagen, er hätte etwas gehört. Oder besser noch du. Ja, so machen wir es. Du sagst, du hättest auf der anderen Seite ein Auto gehört, während du hierhergelaufen bist.»
Paul fügte sich, wie er sich immer in Antonias Entscheidungen gefügt hatte. Er half ihr, den widerstrebenden Ben auf den Beifahrersitz des Wagens zu bugsieren. Nachdem Antonia abgefahren war, klaubte Paul sämtliche Blätter von Ursula Mohns Körper und verteilte sie im Gelände.
Uns gab das blutige Grünzeug im Bruch später ein kleines Rätsel auf. Aber lange rätselten wir nicht. Es sah so aus, als sei das verletzte Mädchen in der Senke herumgelaufen. Und es erschien naheliegend, dass Ursula Mohn immer wieder versucht hatte, ihrem Peiniger zu entkommen.
Das schwerverletzte, geistig behinderte Mädchen war der Fall, der mich zum ersten Mal ins Dorf brachte. ImGegensatz zu den Ereignissen im Sommer 95 gab es im August 87 den sicheren Beweis für ein Verbrechen. Wir – mein junger Kollege Dirk Schumann und ich – wurden sofort verständigt. Kurz nach neun am Abend trafen wir am Bruch ein. Zu dem Zeitpunkt lag Ursula Mohn längst auf einem Operationstisch und Ben in der Badewanne.
Erst neun Jahre später erfuhr ich, dass Trude Bens blutverschmierten Jogginganzug umgehend in die Waschmaschine gesteckt hatte. Glücklicherweise war Jakob noch draußen gewesen, als Antonia Ben heimbrachte und die Situation erklärte. Dass er im Bruch gewesen war, erfuhren wir damals nicht. Ich erfuhr 1987 nicht einmal, dass er existierte.
Die Aussagen von Andreas und Paul Lässler waren dürftig, aber es gab keinen Grund, sie anzuzweifeln. Andreas erzählte bereitwillig von seinem Rendezvous mit Sabine Wilmrod und schilderte seinen Heimweg am Bruch entlang. Paul brachte, wie von Antonia verlangt, das Motorengeräusch ins Spiel.
Wir gingen davon aus, dass Andreas Lässler mit seinem Auftauchen den Täter in die Flucht geschlagen hatte. Zwischen den Trümmerbergen und dem Unkraut hätte er sich ungesehen zur anderen Seite davonmachen können. Dann hatte er in seinem Wagen abgewartet, bis Andreas außer Sichtweite war. Die Kleidung des Mädchens entdeckten wir am nächsten Tag unter der aufgeworfenen Erde aus der flachen Grube. Die Tatwaffe fanden wir nicht – und nie den Täter.
Aufgrund der Aussagen und der Situation am Fundort stellte sich für uns die Lage folgendermaßen dar: Der Täter hatte Ursula Mohn am Marktplatz gesehen und in einem unbeobachteten Moment in seinen Wagen steigen lassen. Er war mit ihr hinausgefahren, hatte sich dem Bruch von der Rückseite genähert, was den Vorteil hatte,dass der Wagen unbemerkt blieb und es unmöglich war, brauchbare Reifenspuren zu sichern. Der Weg auf der Rückseite war in noch
Weitere Kostenlose Bücher