Der Puppengräber
Woche zum Lässler-Hof lief. Oft trug er dann den Kasten unter dem Arm, den Toni und Illa von Burg ihm zum bunten Sonntag geschenkt hatten. Er konnte nicht bis drei zählen und zeigte seiner kleinen Schwester und Britta Lässler, wie sich verschieden geformte Holzstücke durch verschieden geformte Öffnungen in einem Rahmen drücken ließen.
Mehr als einmal sagte Antonia nach solch einem Nachmittag zu Paul: «Das war die beste Idee, die ich je hatte. Ich hätte es viel früher tun sollen, dann wäre es gar nicht so weit mit ihm gekommen. Da soll noch einer sagen, er sei bösartig. Er ist ein Schaf, man muss nur freundlich mit ihm umgehen.»
Antonia freute sich mit, als im Mai 87 für Trude und Jakob ein langgehegter Traum in Erfüllung ging. Genaugenommen war es kein Glückstreffer, mit dem Jakob den Vogel abschoss. Es war sorgfältig überlegt und abgesprochen. Schützenkönig, da ging es nicht nur darum, gefeiert zu werden, man musste es auch bezahlen können, und billig war es nicht. Aber sie hatten eisern darauf gespart und sich beim Hausbau zurückgehalten.
Zum größten Teil war es Trudes Verdienst. Sie verzichtete auf die moderne Einbauküche und das neue Schlafzimmer. Sie begnügte sich mit der alten Couchgarniturfür das neue Wohnzimmer. Sie hielt das Geld beisammen und sorgte dafür, dass Ben beschäftigt war. Für jede Distelblüte, für jede Scherbe, die er ihr aus dem Feld mitbrachte, nahm sie ihn in die Arme. «Da freu ich mich aber, dass du an mich gedacht hast. Du bist mein guter Ben, du bist mein Bester.»
Er bekam rote Ohren von so viel Lob, rannte am nächsten Morgen wieder los, um neue Schätze für seine Mutter zu suchen. Manchmal überkam ihn dabei die Sehnsucht, dann lief er zum Lässler-Hof, hüpfte in wilden Bocksprüngen mit Tanja oder Britta auf dem Rücken über den Hof, spielte Verstecken mit den Kindern oder was ihnen sonst in den Sinn kam.
Während Trude das Kleid anfertigen ließ, das sie als Königin auf dem Schützenball tragen wollte, lag er mit klopfendem Herzen neben Antonias Bett und fieberte dem Moment entgegen, wo die eine oder andere Kinderstimme schrie: «Ich hab ihn!»
Während Trude überlegte, ob sie ihn bei der Fahrt in der offenen Kutsche neben sich haben oder ihn lieber für die Zeit bei Antonia lassen sollte, erkundete er den Bruch, buddelte zwischen den Trümmerbergen und fand einen kleinen Dreckklumpen, der sich als Kostbarkeit entpuppte, nachdem er ihn minutenlang in den Fingern gedreht und über seine Hose gerieben hatte. Es war der Verlobungsring von Richard Kreßmanns Mutter. Aber das wusste er nicht, er sah nur, dass es in der Sonne blinkte. Damit musste sich ein dickes Lob herausschinden lassen.
Das bekam er auch. Trude legte den Ring an die Seite, um ihn bei Gelegenheit Richard Kreßmann zu geben. Richard bekam feuchte Augen. Und Trude entschied, Ben die Kutschfahrt durchs Dorf zu gönnen, nahm seine Körpermaße und gab am nächsten Tag einen festlichen Anzug für ihn in Auftrag.
Und an einem Freitagnachmittag im August 87 traf sich Andreas Lässler beim Bendchen mit Sabine Wilmrod. Sabine, ein Jahr älter als Pauls ältester Sohn und als einzige Tochter eines nicht unvermögenden Mannes bereits stolze Besitzerin eines Kleinwagens, wählte für den Rückweg die Strecke am neuen Schlösser-Hof vorbei und durchs Dorf, während Andreas auf dem Feldweg am Bruch entlang nach Hause schlenderte.
Sabine Wilmrod bemerkte bei ihrer Fahrt durch den Ort, dass viele Leute unterwegs waren und alle einen aufgeregten Eindruck machten. Ein Streifenwagen kam ihr entgegen. Die Bevölkerung wurde über Megaphon aufgefordert, Ausschau nach der sechzehnjährigen Ursula Mohn zu halten. Sie gaben eine Beschreibung des Mädchens und machten darauf aufmerksam, dass es sich um eine hilflose Person handle, die nicht einmal ihren Namen angeben könne. Wer das Mädchen sähe, solle es festhalten und umgehend die Familie Mohn, wohnhaft am Lerchenweg, oder die Polizeidienststelle Lohberg verständigen.
Wie Thea Kreßmann später zu berichten wusste, hatte Frau Mohn ihre Tochter, die sie nach ein paar peinlichen Zwischenfällen nicht mehr ohne Aufsicht im Dorf herumlaufen ließ, am frühen Nachmittag mit auf einen Arztbesuch genommen. Während der Untersuchung ließ sie das Mädchen mit einem Geduldsspiel im Wartezimmer zurück. Und keine der sonst noch anwesenden Personen hielt Ursula auf, als sie kurz nach ihrer Mutter aus dem Raum ging.
Die junge Frau an der Anmeldung hatte
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