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Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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nichts dagegen, wenn sie sich an seinem Bestand bediente. In dem modernen Schweinestall brauchte er kaum noch etwas davon.
    Als sie die Leiter hinaufstieg, bemerkte sie bei der Luke einen dunklen Fleck auf den Holzbohlen. Seine Bedeutung begriff sie erst, als sie weiter hinten einen losen Strohhaufen aufnahm. Darunter lag er, ein Rucksack ausdunkelblauem Perlonstoff, der vom Blut ebenso steif war wie Bens Hemdrücken.
    Trude vergaß die beiden Schweine, die jetzt auf nacktem Beton standen. Der blutsteife Beutel war das Ende jeder Hoffnung. Er war groß, aber nicht groß genug, einen Menschen darin zu transportieren, jedenfalls nicht komplett. In Einzelteilen, dachte Trude, fühlte ein heißes Würgen in der Kehle, sah sich von abgeschlagenen Fingern, abgetrennten Beinen, von aufgeschnittenen Rümpfen und herausgerissenen Eingeweiden umgeben.
    Ein Metzger, ein Schlächter, ein Haarmann!
    Sie erinnerte sich noch an das Lied, das sie als Kinder gesungen hatten. An den Fall selbst nicht, das war vor ihrer Geburt gewesen. Sie wusste nur, was man sich darüber erzählt hatte. Grauenhafte Dinge; kleine Buben und junge Männer durch den Fleischwolf gedreht und zu Wurst verarbeitet. Und sie hatten ein Spottlied daraus gemacht. «Warte, warte noch ein Weilchen, dann kommt Haarmann auch zu dir. Mit dem kleinen Hackebeilchen klopft er leis’ an deine Tür.»
    Hackebeilchen!
    Abgeschlagene Finger!
    Das Pendel Mutterherz schlug wieder in Richtung Unschuld. Abgeschlagen, nicht abgeschnitten, da war sie völlig sicher, hatte der Anblick der Wundstellen sie doch an den Finger ihres Vaters erinnert, der war abgehackt worden. Und Ben hatte höchstens mal ein Messer. Man konnte zwar auch mit einem großen, scharfen Messer zuschlagen. Doch in der vergangenen Nacht hatte er nur eins vom Essbesteck bei sich gehabt, mit Wellenschliff und abgerundeter Klinge. Und damit einen Körper so zu zerlegen, dass er sich in einem Rucksack transportieren ließ, erschien Trude unmöglich.
    Dass sich seit fünfzehn Jahren ein Springmesser inseinem Besitz befand, dass es manchmal unter zusammengeschobenem Stroh auf dem Zwischenboden lag und manchmal irgendwo draußen in einem Erdloch, wusste Trude nicht. Sie hatte die Waffe, mit der höchstwahrscheinlich Althea Belashi getötet worden war, die Ben entweder in Gerta Frankens Garten oder eher noch neben dem Pütz gefunden hatte, in all den Jahren nie bei ihm gesehen. So dumm war er nicht einmal mit sieben Jahren gewesen, nicht zu wissen, dass seine Mutter ihm diesen Schatz auf der Stelle weggenommen hätte, wäre es ihr unter die Augen geraten.
    Trude bückte sich, griff nach einem der Tragegurte, an denen sich wie vor Wochen an Svenja Krahls Handtasche nur die verschmierten Abdrücke blutiger Finger befanden, und zog den steifen Rucksack traumverloren hinter sich her zur Luke. Als sie ins Haus ging und die Treppe hinauf zu seinem Zimmer stieg, wusste sie noch nicht, was sie als Nächstes tun sollte. Aber dann ging es automatisch.
    Sie öffnete die Tür, schaute mit einem liebevollen Blick zum Bett und sagte: «Du bist doch mein guter Ben. Du bist mein Bester. Zeig mir, wo du das hingelegt hast, was hier drin war.» Dabei hielt sie den Rucksack am ausgestreckten Arm von sich. «Wenn du es mir zeigst, gibt es etwas Feines zur Belohnung. Ein Kuchen bei Sibylle und ein großes Eis. Jetzt komm, ich tu dir nicht weh, bestimmt nicht. Ich nehme es dir auch nicht weg. Ich will es nicht haben. Ich will es nur mal sehen.»
    Er drehte den Kopf zur Seite und war auch mit viel gutem Zureden nicht zum Gehorsam zu bewegen. Ehe sie ihn dazu brachte, aufzustehen und ihr zu folgen, musste sie ein Vanilleeis aus der Gefriertruhe holen. Bei der Gelegenheit stopfte sie den Rucksack unter den Haufen alter Kleidung, den sie für die nächste Kleidersammlungaussortiert hatte. Ihn jetzt zu verbrennen, fehlte die Zeit.
    Dann lief er vor ihr her, die Eiswaffel in der Faust, nicht in Richtung Bruch, wie sie gedacht hatte. Er hielt sich auf dem Weg und bog bei der Abzweigung nach links. Es ging zur Apfelwiese, das wurde rasch klar. Trude hetzte und keuchte hinter ihm her am Stacheldraht entlang, rechnete damit, dass er haltmachte und sich unter dem Draht durcharbeitete. Aber er lief bis zum letzten Holzpflock, blieb endlich stehen und schaute sich nach ihr um. Als er sah, dass seine Mutter noch hinter ihm war, schob er sich behutsam Stück für Stück seitlich am Zaun entlang und nach etwa acht Metern vorsichtig in die dornige

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