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Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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gerade telefoniert und nicht darauf geachtet, wer die Praxis verließ. Zwei Passanten hatten wenig später noch gesehen, dass Ursula sich mit offener Bluse auf die Bank am Marktplatz setzte. Wohin sich das Mädchen von dort aus begebenhatte, ob es angesprochen worden und in ein Auto gestiegen war, wusste niemand.
    Als Andreas Lässler den Bruch erreichte, war es wenige Minuten nach acht und die Suche nach Ursula Mohn seit einigen Stunden im Gange. Andreas bemerkte eine gebückt zwischen den Trümmerbergen hantierende Gestalt. Er stieg in die Senke, um Ben heimzubringen. Als er näher kam, erkannte er, dass Ben sich an dem leblosen Körper eines Mädchens zu schaffen machte.
    Entsetzt rannte Andreas los und erreichte zehn Minuten später völlig außer Atem den elterlichen Hof. Er wollte zu Antonia ins Haus, lief jedoch vor der Tür seinem Vater in die Arme, stotterte und stammelte sichtlich unter Schock stehend, was er gesehen hatte. «Ben ist im Bruch. Mit einem Mädchen. Es ist nackt. Ich glaube, es ist tot.»
    Tot war Ursula Mohn nicht, wie Paul wenig später feststellte, jedoch war sie blutüberströmt. Auf den ersten Blick zählte Paul fünfzehn Schnitt- und Stichwunden. Tatsächlich waren es etliche mehr. Auf dem nackten Körper klebten ein Dutzend Blätter von allen möglichen Pflanzen. Als Paul vorsichtig eins fortnahm, kam auch darunter eine Verletzung zum Vorschein.
    Der Puls war noch tastbar, der Atem ging regelmäßig, wenn auch flach. Wiederbelebungsmaßnahmen waren nicht erforderlich. Aufgrund der blutenden Wunden hätte Paul sich auch nicht getraut, diese durchzuführen.
    Ben hockte neben Ursula Mohn. Er hielt ein Büschel Grünzeug in der Hand. Sein Klappspaten lag ein Stück weiter im Unkraut. Aufmerksam betrachtete er Pauls zitternde Finger und zeigte auf eine Schnittwunde. «Weh», sagte er.
    «Ja», bestätigte Paul mit trockener Kehle, richtete sich auf und schaute sich um. Kleidungsstücke entdeckte ernirgendwo. Etwa zehn Meter entfernt bemerkte er aufgeworfene Erde, dort war eine flache Grube ausgehoben. Von ihrer Länge her entsprach sie einem menschlichen Körper.
    Für einen Moment schloss Paul gequält die Augen, betrachtete den am Boden liegenden Klappspaten, zeigte zu der flachen Grube und erkundigte sich: «Hast du das Loch gemacht?»
    Aus Bens Mund kam nie ein Ja oder Nein. Er nickte oder schüttelte den Kopf, wenn man ihn etwas fragte. Aber wie Trude schon vor Jahren war auch Paul inzwischen zu der Überzeugung gelangt, dass es nicht so sehr von der Frage abhing, mehr von dem Ton, in dem sie gestellt wurde. Paul hatte sich bemüht, mit neutraler Stimme zu fragen. Eine Reaktion bekam er nicht. Stattdessen hob Ben die Hand mit dem Grünzeug, tippte drei der aufgeklebten Blätter an und sagte: «Fein macht.»
    «Steh auf», verlangte Paul. «Hast du ein Messer bei dir?»
    Ben richtete sich auf und schüttelte den Kopf. «Finger weg», sagte er und fügte mit gedämpfter Stimme an: «Rabenaas.»
    Paul nickte. «…   ein Schaf, wenn man nur freundlich mit ihm umgeht», hatte Antonia gesagt. Und wenn man nicht freundlich mit ihm umging? Paul dachte an all die Mädchen, die Ben durchs Dorf gejagt und beschimpft, denen er mit einem Messer vor den Augen herumgefuchtelt hatte. Er betrachtete den blutigen Körper mit einem scheuen Blick, schaute noch einmal zwischen dem Spaten und der Grube hin und her und wandte sich erneut Ben zu. Es fiel ihm schwer, sich Bens Ausdrucksweise zu bedienen. Er tat es in der Hoffnung, auf diese Weise eine verständliche Antwort zu erhalten. «Hast du ein Finger weg bei dir? Hast du Rabenaas weh gemacht?»
    Wieder schüttelte Ben den Kopf, sehr nachdrücklich und energisch, wie Paul fand. Zusätzlich gab er ein tiefes Brummen von sich und blinzelte mit beiden Augen, wie er es von den Katzen gesehen hatte. «Freund», sagte er.
    «Ja, ich bin dein Freund», erklärte Paul mit belegter Stimme. «Lass mich mal in deine Taschen sehen.» Er kam sich schäbig vor dabei. Alles in ihm sträubte sich gegen die Griffe und mehr noch gegen die Konsequenzen, falls er etwas finden sollte.
    Geduldig ließ Ben die Prozedur über sich ergehen. Ein Messer fand sich nicht. Paul entdeckte nur ein kleines Geduldsspiel, ein billiges Plastikding, wie man sie auf Jahrmärkten in den Wundertüten fand. Es handelte sich um eine durchsichtige Dose, an deren Boden eine dünne Pappscheibe mit Löchern festgeklebt war. In die Löcher sollten mit ruhiger Hand drei winzige, silberne Kugeln

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