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Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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schlechterem Zustand als der, der normalerweise genutzt wurde.
    Das einzige Risiko für den Täter hatte darin bestanden, dass er am Lässler-Hof vorbeifahren musste, sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückweg. Antonia hatte, was den Tatsachen entsprach, kein Auto gehört. Sie hatte sich im Haus beschäftigt. Paul und Achim Lässler hatten am späten Nachmittag und frühen Abend im Schweinestall zu tun gehabt und auch nichts bemerkt. Aber man registrierte es auch nicht immer bewusst, wenn in der Nähe ein Auto vorbeifuhr.
    Ursula Mohns Schreie wären aus mehr als einem Kilometer Entfernung nicht mehr zu hören gewesen. Auf den Feldern in der Nähe des Bruchs war an dem Tag nicht gearbeitet worden. Keine Zeugen! Und eine derart günstige Situation konnte theoretisch nur jemand nutzen, der mit den Gegebenheiten des Dorfes vertraut war und über die nötigen Ortskenntnisse verfügte.
    Dass Ursula Mohn alleine bis in die Nähe des Bruchs gelangt und erst dort mit dem Täter zusammengetroffen sein könnte, zogen wir nach den Aussagen von Paul und Andreas Lässler nicht in Betracht. Obwohl die Zeit für einen langen Fußmarsch gereicht hätte. Zwischen ihrem Verschwinden am Nachmittag und ihrer Entdeckung lagen etliche Stunden. Dass sie in der Arztpraxis noch mit der Plastikdose aus einer Jahrmarktswundertüte gespielt hatte, über die Trude sich am Abend wunderte, fand nirgendwo Erwähnung.
    Dass Ben das Geduldsspiel nur gefunden hatte, ist auszuschließen. Er wäre kaum von alleine darauf gekommen, dass die Kügelchen in die Löcher gerollt werden sollten. Aber Kleinigkeiten geraten leicht in Vergessenheit.Und gegen Lügen ist man machtlos, wenn sie überzeugend klingen.
    Als Antonia lange Jahre später endlich die Wahrheit sagte, fragte ich sie fassungslos: «Was haben Sie sich dabei gedacht?»
    «Ich wollte Trude die Aufregung ersparen», antwortete sie. «Es hatte immer wieder Gerede gegeben. Ich dachte, wenn die Polizei sich mit Ben beschäftigt   …»
    «Und an die Mädchen im Ort», fragte ich, als sie mitten im Satz abbrach, «haben Sie nicht gedacht?»
    Antonia schwieg, sie machte eine hilflose Geste, dann begann sie zu weinen. Das sehe ich heute noch vor mir.

26.   AUGUST 1995
    Während Jakob noch versuchte, bei Heinz Lukka etwas über den Verbleib der jungen Amerikanerin mit dem schicksalsträchtigen Namen zu erfahren, saß Trude mit verschränkten Händen am Küchentisch. Das Denken fiel ihr ungewohnt schwer. Ben hatte sich, nachdem Jakob weggefahren war, in sein Zimmer verkrochen, sich wieder bäuchlings aufs Bett gelegt und das Gesicht dem Fenster zugedreht. Und Trude wusste jetzt, warum er ihre Gesellschaft mied.
    Wäre nicht innerlich alles so trocken gewesen, hätte sie vielleicht weinen können. So blieb nur ein bisschen Hoffnung, dass er ihr die Schnitte im Rücken verzieh, wie er ihr bisher alles verziehen hatte, weil sonst niemand da war, der seine Brote schmierte, seinen Hintern wusch und ihm das Hemd zuknöpfte.
    Nachdem sie eine Weile gesessen hatte und all das Schwere ein wenig tiefer gerutscht war, verließ sie dasHaus durch den Keller, zog Gummistiefel an, holte die Mistgabel und ging in den Schweinestall, um sich mit Arbeit ein wenig abzulenken.
    Mit nur zwei Schweinen hatte sie im Vergleich zu früher, als der Stall noch voll war, kaum Arbeit. Die Tiere waren zutraulich wie Hunde, rieben sich an ihren Beinen und stießen sie mit dem Maul an. Trude tätschelte mal dem einen, mal dem anderen den speckigen Rücken und ließ ihrem gesamten Elend freien Lauf.
    «Er muss was auf dem Rücken getragen haben», sagte sie zu sich oder zu den Schweinen. Und irgendwer antwortete mit ihrer Stimme: «Natürlich hat er was auf dem Rücken getragen. Einen stark blutenden Körper.»
    Es war, als ob sich außer den Schweinen noch jemand im Stall aufhielt. Er stand immer direkt hinter Trude, sodass sie ihn nicht sehen konnte. Und er benutzte ihre Stimme. Es musste ihr Verstand sein.
    «Das glaube ich nicht», widersprach Trude ihrem Verstand. «Es muss was Kleineres gewesen sein. Wenn er die Frau getragen hätte, wäre sein Hemd auch vorne dreckig geworden und an den Armen. Da war es aber sauber, die Hose auch. Und die Jacke hat nichts abbekommen. Als er sich die umhängte, muss sein Hemd schon wieder trocken gewesen sein.» Inzwischen war sie dabei, das triefende Stroh in die Schubkarre zu laden. Wenig später ging sie zur Scheune, um auf dem Zwischenboden etwas frisches zu holen. Paul Lässler hatte

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