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Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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Annette mit Albert Kreßmann über Jakobs Besuch und den Grund sprach. Und Albert hatte Ben gesehen – mit der Jacke. «Da fällt mir gerade ein», flüsterte sie so leise, dass Jakob sie kaum verstand. «Als ich ihn rausgelassen hab heute Morgen   … Es kann sein, dass er die Jacke nicht auf dem Weg gefunden hat. Als er heimkam, ich meine, da wäre er vom Bruch gekommen.»
    «Du meinst?», fragte Jakob scharf. «Da kommst du doch jetzt auch her. Dann erzähl mir doch nicht, er hätte nicht verstanden, was er dir zeigen sollte! Verdammt nochmal, lüg mich nicht an. Du hast mich heute Nachmittag auch belogen, gib es zu! Er war nicht im Bett, er war draußen. Wir fahren zurück.»
    Zuletzt war er immer lauter geworden. Er trat auf die Bremse, schaute in den Rückspiegel. Aber hinter ihnen war niemand mehr zu sehen. «Verdammt», fluchte Jakob. «Wo bleibt er denn?»
    Trudes Herz stockte erneut, im Hirn zuckte nur ein Gedanke. Nicht jetzt! Jakob legte den Rückwärtsgang ein. Mit nach hinten gewandtem Kopf fuhr er bis zur Kreuzung, konnte nun die vier Wege einsehen. Keine Spur von Ben. «Das gibt’s doch nicht», zischte Jakob. «Wo ist er hin?»
    Der Mais, dachte Trude, sie liegt im Mais! Da kann Heinz ihm von der Terrasse aus bequem zuschauen, da muss er sich nicht mal die Schuhe dreckig machen. Gott steh uns bei! Wenn er sie jetzt rausholt, das halte ich nicht aus.
    Ben war tatsächlich in den Mais getaucht, hüpfte auf der Stelle, schoss bei jedem Sprung mit Kopf und Schulternüber die Pflanzen hinaus, winkte mit beiden Händen und rief: «Freund!»
    Trude und Jakob hörten ihn rufen, Heinz Lukka hörte ihn ebenfalls. Die Terrassentür stand weit offen. Heinz Lukka trat auf die Terrasse hinaus, winkte zu Ben hinüber, hörte das Brummen des Dieselmotors und ging zur Hausecke. Er sah Jakobs Wagen bei der Abzweigung stehen und kam langsam näher. Als er den Mercedes erreichte, drehte Jakob die Scheibe ganz herunter und rief: «Los, Ben, mach, dass du herkommst.»
    «Lass ihn doch», meinte Heinz Lukka. «Ich bin sowieso gleich draußen. Da kann er bei mir bleiben.»
    «Kann er nicht», sagte Jakob. «Ich hab auch was mit ihm zu tun. Und er muss nicht den Mais platt machen.»
    «Platt machen», wiederholte Heinz Lukka und lächelte. «Ich glaube, er hätte den ersten Halm noch zu knicken.» Das Lächeln erlosch. «Hast du etwas von Frau Stern gehört?», fragte er.
    Jakob schüttelte den Kopf. Trude fühlte, wie ihr Herz sich erneut verkrampfte. Heinz Lukka schaute über das Wagendach in Richtung Landstraße. «Ich auch nicht», sagte er. «Ich dachte, sie hätte vielleicht für den Rest der Nacht ein Zimmer genommen in Lohberg. Ich habe herumtelefoniert, aber abgestiegen ist sie nirgendwo. Sie kann natürlich auch zum Bahnhof sein und dort gewartet haben. Der erste Zug ging kurz nach sechs. Denkst du immer noch, du müsstest die Polizei einschalten? Ich meine, wegen einer verlorenen Jacke muss man keinen Aufstand machen. Sie wird längst in einem Flugzeug sitzen.»
    Trude hörte ihn reden, hörte Jakob antworten und verstand kein Wort von dem, was gesagt wurde. Sie sah nur Ben aus dem Mais kommen, sah den blutsteifen Rucksack in der Scheune liegen. Wenn er nun Blut anden Händen hatte oder an den Schuhen   … «Ich kann nicht mehr», murmelte Trude. «Ich krieg keine Luft.» Die letzten Worte waren nur noch ein Röcheln.
    Jakob erschrak. Leichenblass war sie. Ihre Lippen hatten sich blau gefärbt. «Entschuldige, Heinz», sagte er eilig. «Ich muss Trude nach Hause bringen.»
    «Ja, natürlich.» Heinz Lukka beugte sich herunter und nickte Trude aufmunternd zu. Auch er erschrak, als er sie sah. Und Trude sah nur den Mais.
    «Komm, Ben», rief Jakob noch einmal, ließ den Wagen wieder langsam vorwärts rollen, diesmal nur im Schritt. Er ließ die Augen nicht von Trude. Sie saß neben ihm, als könne jeder Atemzug der letzte sein. Ihre mühsam krampfhaften Atemzüge schnitten auch Jakob die Luft ab. Er warf kaum noch einen Blick in den Rückspiegel, hatte nur noch Angst, Trude könne zusammenbrechen – oder sterben.

ZUSAMMENBRUCH
    Nachdem Ursula Mohn im August 87 im Bruch beinahe verblutet und vielleicht lebendig begraben worden wäre, löste sich für Trude der Traum, auf dem Schützenball als Königin zu tanzen, in Rauch und Asche auf. Auch wenn es anscheinend keine Zeugen gegeben hatte, wusste jeder, was tatsächlich geschehen war. Thea Kreßmann sorgte dafür, dass jeder im Dorf erfuhr: Ben hatte an jenem

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