Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
Vom Netzwerk:
der Tür.
    Noch während sie aßen, klingelte es an der Haustür. Seine Jüngste stand draußen. So sehr Jakob sich auch über ihr Erscheinen freute und über ihre Erklärung, dass sie jetzt daheimbleiben wolle, die Freude wurde gedämpft von der Vorstellung, was wohl bei Paul und Antonia noch auf den Tisch gekommen sein mochte, nachdem er den Lässler-Hof verlassen hatte.
    An eine geruhsame Stunde mit seiner Tochter warnicht zu denken. Auch den Wunsch, in Bens Zimmer zu schlafen, musste Jakob ihr abschlagen, was sie überhaupt nicht einsehen wollte. Trude ging hinauf und bezog das Bett in dem Zimmer, welches ursprünglich für Bärbel gedacht gewesen und nie genutzt worden war, mit frischer Wäsche. Dann kam Trude wieder herunter und bedeutete mit ein paar Blicken, dass es für junge Mädchen nun Schlafenszeit sei.
    Das passte Tanja ebenfalls nicht, es war noch viel zu früh. Bei Onkel Paul und Antonia dürfe sie speziell samstags immer sehr lange aufbleiben. Aber Jakob stellte sich hinter Trude. Es gab hier Dinge zu besprechen, die für Kinderohren nicht geeignet waren. Sie protestierte lauthals. Von wegen Kinderohren, immerhin war sie schon dreizehn, und es ging um ihren Bruder.
    Das spielte keine Rolle, überhaupt keine, erklärte Jakob nachdrücklich. So verzog sie sich schmollend, ging allerdings nicht in das ihr zugewiesene Zimmer. Entgegen Jakobs ausdrücklichem Befehl drehte sie den Schlüssel um, öffnete die Tür, blinzelte verschwörerisch und rief ihrem Bruder halbwegs fröhlich zu: «Na, du Waldmensch, haben sie dich eingeschlossen?»
    Er stand am Fenster und winkte sie mit einer Geste zu sich, die ebenso verschwörerisch wirkte wie ihr Blinzeln. Dann zeigte er mit einem allesumfassenden Wink ins Weite, nickte bedeutsam und erklärte mit gedämpfter Stimme: «Finger weg. Rabenaas.»
    Sie dämpfte die Stimme ebenfalls, schmiegte sich an ihn und schob ihren Kopf unter seine Achsel. «Keine Angst», sagte sie. «Ich passe auf, großes Ehrenwort.»
    Während im Wohnzimmer Trude und Jakob ein Gespräch in Ruhe versuchten und Jakob zum ersten Mal hörte, dass sein Sohn vor acht Jahren als Erster im Bruch gewesen war und Ursula Mohn in seiner unbeholfenen,aber gutmütigen Art Erste Hilfe geleistet hatte, erzählte Ben seiner jüngsten Schwester mit immer denselben Worten, von Svenja Krahl, Marlene Jensen und Edith Stern.
    Jakob und Trude sprachen anschließend noch über verbrannte Zeitungen, über Heinz Lukka, Bruno und Dieter Kleu, Albert Kreßmann und ihren Sohn, der nicht reden konnte, dem man irgendwann aus seinem Schweigen einen Strick drehen würde. Dabei verschwieg Trude alles Wesentliche und beschränkte sich auf das, was Jakob ohnehin wusste oder zumindest vermutete. Seinen Vorschlag, Ben von einem Psychologen befragen zu lassen, lehnte sie kategorisch ab.
    «Was soll dabei rauskommen?», fragte sie. «Wenn nicht mal wir ein vernünftiges Wort von ihm hören.»
    Es war fast ein Uhr nachts, als sie endlich ins Bett gingen. Jakob lag noch lange wach, dachte an Pauls Worte: «Ich habe meine beiden gewarnt.» Auch vor Bruno Kleu? Jakob dachte an das junge Mädchen im Nebenzimmer. «Keine Sorge, Papa, wenn er mir wehtut, brülle ich   …» Ob sie auch bei Bruno brüllen würde? Aber Bruno hatte es doch nicht nötig, sich mit Gewalt ein Mädchen zu nehmen. Und dann wusste auch Jakob nicht mehr, was er denken sollte. Darüber schlief er ein.
    Trude lag wach, wälzte sich von einer auf die andere Seite. Den blutigen Rucksack der jungen Amerikanerin vor Augen und eins von ihren Unterhöschen, zwei abgeschlagene Finger vermutlich von Marlene Jensen, die Handtasche von Svenja Krahl, das Unterhöschen einer Unbekannten. Und einen Knochen, der möglicherweise von einem Bein der ersten Edith Stern stammte, vielleicht auch von einer, deren Verschwinden nie bekannt geworden war.
    Am Sonntagmorgen fühlte Trude sich wie durch einen Teich von geronnenem Blut gezogen. Jakob gab sich etwaszuversichtlicher. Das mochte an dem vierten Gedeck und der munteren Stimme seiner Tochter liegen, die ihm noch beim Frühstück ihre Pläne für die nächsten Tage eröffnete.
    «Mittags holt mich Ben an der Landstraße ab. Das haben wir schon besprochen. Er weiß, wo er auf mich warten muss. Und nachmittags gehe ich mit ihm im Dorf spazieren. Man darf ihn jetzt nicht verstecken, Papa. Man muss allen Leuten zeigen, dass er gutmütig ist. Dann hört das Gerede auf.»
    Jakob brach nach dem Frühstück auf, fuhr allein zum Bruch,

Weitere Kostenlose Bücher