Der Puppengräber
nach Thailand. Die Kultur und das Essendort bekämen ihm gut, das Klima sei auch sehr angenehm, und man könne äußerst günstig antike Kunstgegenstände kaufen, erzählte er oft.
Hinter Lukkas Rücken tippte man sich in Ruhpolds Schenke an die Stirn. Antike Kunstgegenstände – in Thailand? Das konnte Heinz auf dem Friedhof seiner Mutter erzählen. Jeder halbwegs vernünftige Mensch wusste, was man in Thailand billig kaufen konnte.
Aber Richard Kreßmann sagte, das habe Heinz nicht nötig. Er habe eine Freundin, eine überaus attraktive Frau, mit der er sehr glücklich sei. Wahrscheinlich verbrachte er den Urlaub sogar mit ihr zusammen und wollte nur nicht darüber reden, weil er wusste, wie das im Dorf war; dass ihm hier niemand den Dreck unter seinen Fingernägeln gönnte – und gewiss nicht so eine Frau.
Richard kannte sie zwar nicht persönlich, seine Frau jedoch hatte sie schon mehrfach gesehen. Thea sah auch den Wagen der Dame jeden Freitagabend, wenn sie an Lukkas Haus vorbei zum Lässler-Hof fuhr, um sich von Andreas die komplizierten Rechenaufgaben für Albert erklären zu lassen.
Ein tolles Auto und eine phantastische Frau, erzählte Thea jedem, der es hören wollte oder nicht. Höchstens Anfang dreißig. Und der Wagen, bei den Typenbezeichnungen kannte Thea sich nicht aus, aber Albert hatte gesagt, es sei eine Corvette. Wenn er auch nicht rechnen konnte, mit Autos wusste Albert Bescheid. Er sammelte kleine Bildchen von ungewöhnlichen Typen, die in ein Album geklebt wurden.
Eine Corvette also. Und die Kleidung, ziemlich auffällig, aber sehr elegant. Heinz Lukka hatte Geschmack, das musste ihm der Neid lassen. Thea Kreßmann wusste bereits, dass er über kurz oder lang seinen Anwaltstalaran den Nagel hängen und sich mit dieser Dame aus dem Berufsleben zurückziehen wollte. Doch wie so oft lag Thea auch mit dieser Behauptung weit neben der grauen Realität. Heinz Lukka hatte eben kein Glück mit seinen Romanzen.
In jungen Jahren hatte seine Mutter ihm alles verdorben. Seine große Liebe Maria Lässler hatte sich für Erich Jensen entschieden. Und seine Verlobte aus Lohberg fand den Tod auf der Landstraße. Was er sich möglicherweise in Thailand preiswert kaufte, konnte er nie mit heimbringen. Und die Dame mit der Corvette verschwand ebenso plötzlich, wie sie aufgetaucht war.
An einem Freitagabend im September 89 hatte Thea Kreßmann den ungewöhnlichen Wagen noch gesehen. Und am Samstagnachmittag tauchten zwei junge Männer bei Heinz Lukka auf. Was genau dann passierte, brachte niemand in Erfahrung, nicht einmal Thea. Aber die Folgen waren für jedermann sichtbar.
Offiziell hieß es, Heinz Lukka sei in seinem Bungalow von zwei Fremden überfallen und in übelster Weise zusammengeschlagen worden. Geraubt wurden ihm eine größere Menge Bargeld und einige antike Kunstgegenstände, die er aus dem Urlaub mitgebracht hatte. Ein Jadebuddha sei dabei gewesen, das wusste Thea mit Sicherheit.
Über lange Wochen war der Überfall das Gespräch im Dorf. Die Spekulationen wollten kein Ende nehmen. Darüber geriet Ben beinahe in Vergessenheit. Nur wenn er sonntags neben Trude im Café Rüttgers saß, wenn er zu Sibylle Faßbender in die Backstube schlich, dort geherzt und geküsst wurde, dass er mit roten Ohren wieder hervorkam, erinnerte man sich an ihn – und an Ursula Mohn.
Herr und Frau Mohn hatten nach der Genesung ihrerTochter die Wohnung am Lerchenweg aufgegeben und waren fortgezogen. Auch Ben sah man nur noch selten im Dorf. Nur Paul Lässler sah ihn, wenn Ben für Achim die schweren Futtersäcke schleppte oder mit den beiden Mädchen spielte. Bruno Kleu, wenn Ben Löcher in den Waldsaum grub oder die Nesseln im Bruch umpflanzte.
26. AUGUST 1995
Jakobs Entschluss, mit Ben zum Bruch zu gehen, ließ sich nicht mehr in die Tat umsetzen. Trudes elender Zustand hatte Vorrang. Jakob brachte seinen Sohn hinauf und schloss ihn in seinem Zimmer ein. Dann stand er neben der Couch, hielt Trudes Hand und versuchte, ihr das Einverständnis abzuringen, den Arzt zu rufen. Sie wollte nicht, sprühte sich etwas von ihrem Nitrospray in den Mund und bat: «Lass mich nur ein bisschen liegen. Gleich geht es wieder.»
Nach einer Weile hatte sie sich tatsächlich erholt. Sie schleppte sich in die Küche und machte Abendbrot, obwohl Jakob anbot, ihr die Arbeit abzunehmen. Jakob brachte einen Teller mit Broten und einen Becher Milch hinauf zu Ben und drehte nach dem Verlassen des Zimmers den Schlüssel erneut in
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