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Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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schaute sich bis Mittag dort gründlich um und fand nichts von Bedeutung. Für Trude tropfte eine Sekunde der anderen hinterher und füllte das Minutenglas. Die Minuten füllten das Stundenglas, und die Stunden wurden lang und länger. Ein blutiger Rucksack, gefüllt mit Einzelteilen. Irgendwo draußen lagen diese Teile jetzt. Es konnte jeden Augenblick einer darüber stolpern. Dann würden sie kommen, dann ganz gewiss.
    Kurz nach Mittag kam Britta Lässler auf ihrem Fahrrad, um Tanja die Hefte und Bücher zu bringen, die sie am nächsten Morgen in der Schule brauchte. Gleichzeitig wollte Britta ihre Freundin und Fastschwester zur Rückkehr bewegen. Trude ließ sie ins Haus und rief nach ihrer Tochter, die sich in Bens Zimmer aufhielt und kurz darauf gefolgt von Ben die Treppe hinunterkam.
    Die beiden Mädchen gingen hinauf in das andere Zimmer. Ben, der ihnen hoffnungsfroh folgte, wurde gebeten, vor der Tür zu warten. «Setz dich schön da hin, Bär», wies ihn seine Schwester an und zeigte auf den Fußboden. «Wenn wir miteinander gesprochen haben, spielen wir noch ein bisschen mit dir.»
    Trude spülte in der Küche das Geschirr und stellte mit einem schweren Seufzer fest: «Er tut keinen Schritt ausdem Haus, wenn sie in der Nähe ist. Wir hätten sie schon früher heimholen sollen.»
    «Hätten», sagte Jakob. «Wir hätten viel und haben nicht. Jetzt ist sie jedenfalls hier.»
    Britta Lässler blieb bis um acht, versuchte ihr Glück mit Bitten, Flehen und Tränen. Tanja blieb hart. «Du hast zwei Brüder, ich nur einen, und der braucht mich jetzt.»
    Der Abschied vor der Haustür wurde von einigen Schluchzern verlängert. Als erneut Tränen über Brittas Wangen liefen, entschied Tanja: «Ich komme noch ein Stück mit, dann können wir ja nochmal darüber reden.»
    Wie nicht anders zu erwarten, lief Ben nebenher, strich einmal über das dunkle Haar seiner Schwester, dann über Brittas blonden Schopf. Schließlich legte er tröstend seinen Arm um Brittas Schultern, fasste mit einer Hand nach dem Lenker des Fahrrades und half ihr, es zu schieben.
    «Jetzt wein doch nicht so», bat Tanja mehrfach. «Es ist ja nicht für lange.»
    Britta blieb dabei, dass sie sich noch nie in ihrem Leben so verlassen gefühlt habe wie in der vergangenen Nacht.
    Bei der ersten Abzweigung kam der nächste Abschied. Weiter wollte Tanja nicht mitgehen, um nicht doch noch von Brittas Tränen umgestimmt zu werden. Noch ein Händedruck, eine Umarmung. Jetzt weinten sie beide, und Tanja fluchte: «So eine blöde Scheiße.» Dann drehte sie sich um und lief mit großen Schritten die sechshundert Meter zum Elternhaus zurück.
    Ben war unschlüssig, wem er folgen sollte. Er schaute seiner Schwester nach, blieb jedoch stehen. Als Britta ihr Rad erneut anschob, schloss er sich ihr an.
    Es war ein heißer Nachmittag gewesen. Der Abenddagegen war mild. In einigen Gärten entlang des Weges genoss man die späte Sonne. Es waren genug Leute draußen, die Ben und Britta Lässler sahen und später Auskunft geben konnten.
    Das laute Weinen machte ihn nervös, immer wieder legte er ihr den Arm um die Schultern. Immer wieder schüttelte sie ihn ab, erklärte ihm zwischen Schluchzen und Schniefen, er könne ja nichts dafür, aber genaugenommen sei alles nur seine Schuld. Wenn er sich vernünftig benehmen würde, wäre es nicht so weit gekommen. Er nickte, als stimme er mit ihr überein, nannte sie Fein, wie er es in all den Jahren getan hatte, und erkundigte sich mitfühlend. «Weh?»
    Sie näherten sich langsam dem Stacheldraht und entschwanden den Augen der Beobachter in den Gärten. Aber es waren auch Spaziergänger unterwegs. Nicole Rehbach, eine junge Frau, die erst im Mai dieses Jahres aus einer kleinen Mietwohnung in Lohberg ins Dorf gezogen war, schob einen Rollstuhl an Lukkas Bungalow vorbei auf die beiden zu und sah, dass Ben mit einer Hand den Lenker des Rades hielt und mit der anderen nach Brittas Arm griff, als sie den Mais erreichten.
    Der Rollstuhl war der Grund, dass Nicole Rehbach sich bisher weder um Dorfklatsch noch um sonst etwas gekümmert hatte. Ihr Mann Hartmut war im Dorf aufgewachsen. Seine Eltern hatten ein Haus an der Bachstraße und waren um drei Ecken mit Thea Kreßmann verwandt. Eine Großmutter war die Cousine von Theas Vater gewesen. Kontakte pflegten sie nicht bei dieser weitläufigen Verwandtschaft. Nicole Rehbach wusste nicht einmal davon. Und selbst wenn sie es gewusst hätte, es hätte sie kaum interessiert. Ihre

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