Der Puppengräber
oder auf dem Weg dorthin gesehen hatte? Antonia war immer der Ansicht gewesen, Thea habe nur die Aufregung im Dorf mitbekommen und sich den Rest aus den Fingern gesogen, um an Trudes Stelle als Königin auf dem Schützenball zu tanzen.
Irgendwann hatte Paul sich dieser Meinung angeschlossen, weil niemand etwas unternahm. Und kein Mensch im Dorf, davon war er immer überzeugt gewesen, hätte irgendwelche Rücksichten genommen oder aus lauter Sympathie beide Augen zugedrückt, wenn es darum ging, Ben hinter Gitter zu bringen. Er war nur gut, sich das Maul zu zerreißen. Und das Gerede über ihn war fast schon verstummt, als Trude sich im Frühjahr 88 dem Eingriff unterziehen musste. Es war wie immer, wenn andere sich ins Gespräch brachten.
Richard Kreßmann wurde seinen Führerschein endgültig los. Albert flog mit Pauken und Trompeten vom Gymnasium. Da konnte Thea vor der eigenen Tür kehren. Eine Leuchte war ihr Sohn wahrhaftig nicht. Ob er sich auf der Realschule halten konnte, war noch die Frage.
Bruno Kleu ging fremd wie eh und je, diesmal angeblich mit einer knapp Zwanzigjährigen aus Lohberg. Und während er sich in fremden Betten amüsierte, brach sein Zuchtbulle aus und richtete beträchtlichen Schaden an, ehe er wieder eingefangen war. Anschließend wurde sein Sohn Dieter im Supermarkt beim Klauen erwischt. Eine Mutprobe, hieß es. Bruno wollte dem Geschäftsführer bei Nacht und Nebel einen saftigen Denkzettel verpassen, weil der Mann Dieter Ladenverbot erteilt hatte. Zu bedauern war dabei nur Renate, sie konnte nun ihren Ältesten nicht mehr zum Laden schicken, rasch ein Döschen Kaffeesahne zu besorgen.
Toni und Illa von Burg hatten zwar keine Probleme miteinander, auch keinen Ärger mit ihren Söhnen. Sogar Uwe, der Filou, knatterte nicht mehr jeden Sonntag mit einer anderen auf dem Sozius des Mofas durch Lohberg. Er hatte zurückgefunden zu Bärbel, ging treu und brav mit ihr in die Eisdiele, ins Kino oder, wenn das Taschengeld alle war, nur spazieren. Und noch lieber hielt sich Uwe in Bärbels möbliertem Zimmer auf.
Aber mit dem Mietshaus am Lerchenweg hatten Toni und Illa nichts als Ärger. Sobald eine Wohnung frei wurde, meldete die Stadtverwaltung Ansprüche an. Sie waren immer auf der Suche nach Quartieren für Sozialhilfeempfänger und Asylbewerber. Da wurde über Tonis Kopf hinweg eine Drei-Zimmer-Wohnung mit acht Personen belegt.
Es ging wie ein Lauffeuer durchs Dorf, dass es sich um eine Zigeunersippe handeln solle. Es blieb auch nicht bei den acht Leuten in der Wohnung. Wochenlang waren die Parkplätze, die den Mietern vorbehalten sein sollten, von einer Wohnwagenarmada blockiert. Auf der Polizeiwache in Lohberg häuften sich die Einbruchs- und Diebstahlsmeldungen. Es kamen auch ein paar Anzeigenwegen sexueller Belästigung, ein unhaltbarer Zustand. In der Folge wurden weitere Wohnungen frei, jeder, der etwas auf sich hielt, zog weg. Und Toni hatte das Nachsehen.
Auch mit der Geflügelzucht ging es abwärts. Die Truthähne setzten sich nicht durch. Bei den Eiern aus der großen Legebatterie hatte der Absatz stark nachgelassen. Die Leute wollten zurück zur Natur, aber nur fünfzehn oder zwanzig Pfennig zahlen pro Ei. Es hieß, Toni verhandle jetzt mit einem Großabnehmer und wolle zusätzlich Enten und Gänse züchten fürs Weihnachtsgeschäft, eventuell auch Rehe.
Über Erich und Maria Jensen gab es nicht viel zu sagen. Sie hielten ihr Privatleben unter Verschluss. Ihre Ehe galt als vorbildlich. Nie fiel ein lautes Wort. Was sich hinter der Fassade abspielte, erfuhr nicht einmal Thea Kreßmann. Erich engagierte sich in der Politik, wie er es immer getan hatte. Es hieß, er strebe nun das Landratsamt an und schiele bereits mit einem Auge auf ein Abgeordnetenmandat im Bundestag.
Maria verhätschelte ihre Tochter, pflegte das Familiengrab, schaffte sich jedes Jahr ein neues Auto an und fuhr ihr einziges Kind damit zum Ballettunterricht, Reitstunden oder der Boutique für Kinderbekleidung, die neu in Lohberg eröffnet hatte. Die einsamen Abende verbrachte Maria im Theater, mit Opernbesuchen und dergleichen – hieß es. Ob Maria tatsächlich Richtung Lohberg und von dort aus weiter zur Autobahn fuhr oder andere Wege einschlug, sah niemand. Die Apotheke jedenfalls florierte prächtig, Thea Kreßmanns Unkenrufen zum Trotz. Maria wusste nicht, wohin mit Erichs Geld.
Da wusste Heinz Lukka schon mehr mit seinen Honoraren anzufangen. Er fuhr dreimal jährlich in Urlaub – hauptsächlich
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