Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
Vom Netzwerk:
Betriebbrauchte mehr als zwei Hände. Allein war es für ihn nicht zu schaffen.
    Im Winter 90/​91 waren er und Trude sich einig geworden, dass es keinen Sinn mehr hatte, so weiterzumachen wie bisher. Natürlich war Jakob kräftig, konnte es, was die Arbeit anging, noch mit einem Dreißigjährigen aufnehmen. Aber auch ein Dreißigjähriger wäre gescheitert, hätte er alles alleine machen müssen. Zwei Monate lang, für Jakob waren es entsetzlich lange Monate, hingen sie praktisch in der Luft, rechneten hin und her. Und unter dem Strich blieb immer nur so viel übrig, dass man dafür einen Strick hätte kaufen können.
    An einem Abend im Februar sprach Jakob mit Wolfgang Ruhpold über die düstere Zukunft. Heinz Lukka stand daneben und meinte: «Den Kopf in den Sand stecken hilft dir nicht weiter. Ich werde mich mal umhören, vielleicht kann ich etwas für dich tun.»
    Mehr wollte Heinz Lukka nicht sagen, damit Jakob sich keine voreiligen Hoffnungen machte. Aber da Wilmrod den günstigen Bauplatz im Gewerbegebiet und ein paar weitere Vergünstigungen vor allem dem Einsatz des Rechtsanwalts zu verdanken hatte, war die Sache von Anfang an aussichtsreich. Und schon zwei Tage später wurde es amtlich. Heinz Lukka kam spätabends vorbei und erklärte Jakob, zu welchen Bedingungen er fortan arbeiten könne. Reich werden konnte er nicht dabei, aber der Lebensunterhalt war sichergestellt, und das war die Hauptsache.
    Schon in der nächsten Woche ging für Jakob das geregelte Leben los. Kein Vieh mehr, das Sommer wie Winter, wochentags wie feiertags versorgt werden wollte. Kein Weizen, der in einem Jahr so viel Regen bekam, dass er an den Halmen faulte, und im Jahr darauf vertrocknete, weil es nicht regnen wollte. Keine Kartoffeln, die indem einen Jahr von so schlechter Qualität waren, dass die Leute sich beschwerten. In anderen Jahren waren es solche Massen, dass sie kaum etwas einbrachten.
    Genießen konnte Jakob es trotzdem nicht. Er vermisste den Himmel über dem Kopf, schaute wohl zwanzigmal zu der hohen Decke in Wilmrods Baumarkt hinauf. Auch die Lohnabrechnung am nächsten Ersten versöhnte ihn nicht mit dem Dankeschön, dass er zu Heinz Lukka hatte sagen müssen.
    Aber Trude blühte ein wenig auf. Das brachte Jakob zu der Ansicht, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Im September machten sie Urlaub, den ersten richtigen, drei volle Wochen, in denen er hätte ausschlafen können. Er tat es nicht, es war doch hier und dort etwas zu richten. Das erledigte er frühmorgens, danach ging er zu Paul und fragte, ob er ein wenig helfen könne.
    So verging die erste Woche. Anfang der zweiten sagte Paul, während sie nebeneinander im Schweinestall arbeiteten: «Statt bei mir zu schuften, solltest du lieber mit Trude für ein paar Tage wegfahren. Es täte ihr bestimmt gut. Und dir auch.»
    Der Vorschlag kam nicht von Paul selbst. Antonia hatte anklingen lassen, dass Trude nach all den aufreibenden Jahren ein wenig Erholung verdient habe, Jakob natürlich auch. Und was Ben anging, er sei doch ein Schaf. Ein Frühstück am Morgen, ein Mittagessen und zum Abend noch eine Mahlzeit, ein Bett für die Nacht, ansonsten brauchte er nur Freiheit.
    Nach dem Frühstück lief er zum Bendchen. Nach dem Mittagessen trieb es ihn zum Bruch. Irgendwann am Nachmittag tauchte er dann auf dem Lässler-Hof auf. Zuerst saß er mit den Kindern am Tisch. Während sie ihre Aufgaben für die Schule lösten, fuhr er mit der Fingerspitze über die Tischplatte, als wolle er ebenfallsschreiben oder rechnen. Aber auch ein Blatt und einen Stift, um etwas zu kritzeln, lehnte er ab. Er war kein Schüler, er war der Wächter. Wenn Antonia dazukam, um die Aufgaben der Kinder zu kontrollieren, lachte und blinzelte er sie an, immer in Sorge, dass sie ihn wegschickte, weil er die Kinder störte, und im Bemühen, sie sich wohlgesinnt zu machen.
    Später lief er hinter den Kindern her über den Hof, trug ihnen die Puppenwagen von einem trockenen Fleck zum nächsten, damit sie diese nicht durch den Dreck schieben mussten. Und wenn sie in den kleinen Töpfen vom Puppengeschirr eine Brause anrührten oder ein wenig Vanilleeis auf den Tellern schmelzen ließen, setzte er sich erwartungsvoll auf die Stufen vor die Haustür, schlürfte die Brause oder leckte das geschmolzene Eis samt den hineingeratenen Sandkörnern von den Puppentellern.
    Manchmal schickten sie ihn um die Hausecke. Dann war er der Vater, musste zur Arbeit in den Schweinestall und durfte erst wieder

Weitere Kostenlose Bücher