Der Puppengräber
es so arg auch nicht sein. Für die Nacht und während des Vormittags waren die meisten Tiere nämlich auf der Gemeindewiese neben dem Feldweg Richtung Lohberg untergebracht. Es waren auch bloß ein paar Ponys, ein Zebra und ein Kamel. Auf dem Platz war nachts nur ein alter Elefant angepflockt. Er stand neben einem der Wagen, bis sie ihn zur ersten Vorstellung am Nachmittag in die Manege holten.
Und vorher zogen die Ponys, das Zebra und das Kamel durchs Dorf. Begleitet von zwei Artisten, einem Mann und einem sehr hübschen Mädchen mit langen, hellblonden Haaren, kamen sie die Bachstraße hinauf. Herausgeputzt mit verstaubten, aber prachtvoll bestickten Decken, Federbüschen am Zaumzeug und bemaltenPappschildern, auf denen die Termine der einzelnen Vorstellungen noch einmal bekannt gegeben wurden, trotteten sie zum Marktplatz, gefolgt von einer Horde Kinder, die dankbar waren für die Abwechslung in den letzten Ferientagen.
Zweimal lief auch Bärbel mit, erzählte anschließend mit glänzenden Augen von den Plakaten und bettelte um das Eintrittsgeld. Anita war bereits siebzehn und zu stolz für derartige Kindereien. Aber Ben drückte sich jedes Mal die Nase am Wohnzimmerfenster platt, wenn die kleine Karawane vorbeizog. Mehrfach lief er am Vormittag zur Gemeindewiese und bestaunte die Tiere. Wenn Trude ihn zurückholte, verrenkte er sich den Hals, um so viele letzte Blicke wie möglich zu erhaschen.
Der Zirkus bot drei Vorstellungen täglich, und die Artisten gaben sich viel Mühe. Bärbel ging samstags hin und war voller Begeisterung für das zierliche blonde Mädchen mit dem ungewöhnlichen Namen. Althea Belashi trat als Kunstreiterin mit den Ponys auf und am Trapez, außerdem ließ sie das Zebra ein paar Rechenaufgaben lösen. Von Pferden hätte Bärbel schon gehört, dass sie rechnen konnten, aber ein Zebra … Das war eine Sensation.
Natürlich waren es einfache Aufgaben; zwei minus eins, vier minus drei. Aber Trude, die mit Ben die zweite Vorstellung am Sonntagnachmittag besuchte, wünschte sich, er könnte mit seinen fast acht Jahren rechnen wie dieses Zebra oder wenigstens einmal eine Frage beantworten. «Warum hast du Hilde Petzholds Katze geschlachtet?»
An eine Antwort war nicht zu denken. Und es gab Tage, da vergaß Trude das blutige Gekröse auf ihrem Küchentisch. Es hatte sich kein Zeuge gemeldet. Die Tracht Prügel von der Hand seiner Mutter schien ihmeine Lehre gewesen zu sein. Wenn er ihr entwischte, was leider häufig geschah, lief er nur zur Gemeindewiese und stellte nichts an.
Einmal kam er zurück und hatte die Hände voll Distelblüten – für sie. Er hatte am Tag zuvor gesehen, dass Jakob ihr einen Blumenstrauß zum Geburtstag schenkte. Distelblüten! Wie sollte Trude da glauben, er sei grausam? Er mochte in seinem krausen Hirn tausend gute Gründe gesehen haben, sich die Katze vom Hals zu schaffen. Und sie hatte ihm gezeigt, wie es ging.
Man hatte wirklich nicht Augen genug, musste jeden Handgriff dreimal überlegen, wenn er in der Nähe war. Thea Kreßmann meinte, Trude solle den Antrag für die Sonderschule noch einmal mit Nachdruck stellen. Da hätte sie wenigstens am Vormittag ein bisschen Ruhe und vielleicht wieder mal Zeit für den Friseur. Und da würde man ihm auch das eine oder andere beibringen, Körbe flechten oder Tüten kleben. Oder eine Lungenentzündung! Trude kam nicht an gegen ihre irrationalen Ängste, und Jakob konnte ihr nicht viel Verantwortung abnehmen. Er hatte keine Zeit.
Im Juli hatte Jakob ihn morgens einmal mit hinausgenommen, weil Trude dringend zum Internisten nach Lohberg musste, Ben wegen der langwierigen Untersuchung nicht mitnehmen konnte und ihn auch nicht bei Hilde Petzhold abliefern wollte aus Furcht, er könne Hilde demonstrieren, was mit ihrer graugetigerten, trächtigen Katze geschehen war.
«Versuchen wir es», hatte Jakob gesagt und dafür gesorgt, bei der Arbeitseinteilung an dem Tag den Mähdrescher zu übernehmen. Er hatte Ben notgedrungen mit einem Riemen am Beifahrersitz festbinden müssen. Nur konnte Ben nicht lange sitzen. Keine Viertelstunde verging, da wimmerte er schon, dass es Jakob in der Seelewehtat, dass auch Paul Lässler, der alte Kleu und Bruno übereinstimmend empfahlen: «Jetzt mach ihn schon los und lass ihn laufen. Hier kann er doch nichts anstellen.»
Er wurde losgebunden, spielte eine Weile am Feldrand und verschwand – gerade als jeder dachte, er würde sich nicht von der Stelle rühren. Stundenlang hatten sie ihn
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