Der Puppengräber
suchen müssen. Als sie ihn endlich fanden, hatte er die Hosentaschen voll zerdrückter Käfer, beide Hände und den Mund voller Walderdbeeren, auf denen womöglich die Füchse ihre Würmer hinterlassen hatten.
Abends sagte Jakob zu Trude: «Später geht das vielleicht, aber jetzt ist er einfach noch zu unvernünftig.»
Unvernünftig – das war er. Doch es gab auch besinnliche Stunden mit ihm. Wenn er mit seiner Puppe auf dem Fußboden in der Küche saß. Wenn er für Trude die Briketts einzeln aus dem Keller holte. Oder während der Vorstellung im Zirkus.
Beinahe reglos saß er neben ihr auf der unbequemen Holzbank in der ersten Reihe, betrachtete das Geschehen in der Manege, legte den Kopf in den Nacken, um Althea Belashis Kunstfertigkeit am Trapez besser verfolgen zu können. Der Mund stand ihm vor Staunen offen. Zweimal wischte Trude ihm rasch und verstohlen den Speichel vom Kinn, legte ihm den Arm um die breiten Schultern, lächelte ihn an und nickte ihm zu. Er grinste zurück und flüsterte verhalten: «Fein macht.»
Für Trude war es eine Stunde voller Zufriedenheit. Nach der Vorstellung klatschte Ben sich die Hände wund, tobte, johlte und brüllte «fein macht» zu der jungen Artistin hinüber, bis sie zu ihm kam. Zuerst strich sie ihm nur mit einem Lächeln über das Haar und bedankte sich für den donnernden Applaus, den er ihr bescherte. Dann, nach einem Moment des Zögerns, griff sie nachseiner Hand und führte ihn in die Manege, wo die Ponys ein letztes Mal im Kreis geführt wurden.
Sie half ihm, in den Sattel zu steigen, schwang sich hinter ihn auf die Kuppe des Tieres, turnte noch ein wenig herum. Und er ritt, beide Hände in die Mähne des Tieres gekrallt, stolz wie ein König. Trude sah, dass die junge Artistin unentwegt mit ihm sprach, dass er eifrig nickte, wie sehr er es genoss. Er strahlte übers ganze Gesicht. Dann brachte Althea Belashi ihn zurück zur Bank. Und dann – außer Trude, Antonia Lässler und Sibylle Faßbender tat das niemand, gewiss kein hübsches junges Mädchen – nahm sie ihn in die Arme und küsste ihn auf beide Wangen.
Er versank in ehrfürchtigem Schweigen und verließ das Zelt äußerst widerstrebend. Einen ruhigen Heimweg verschaffte Trude sich nur mit einem Vanilleeis aus dem kleinen Kiosk neben der Apotheke.
Daheim angekommen, verzog er sich mit seiner Puppe in einen Winkel, packte sie an den Füßen, ließ sie kopfüber hin und her schwingen, verrenkte ihr Arme und Beine, wie die junge Artistin es bei ihren Kunststücken auf dem Ponyrücken getan hatte. Abends führte er es Jakob vor, warf die Puppe auch in die Luft und versuchte, sie mit den Händen wieder aufzufangen, wie der Fänger am Trapez es mit Althea Belashi gemacht hatte.
Um neun brachte Trude ihn zu Bett, setzte sich mit Jakob ins Wohnzimmer und überlegte laut, ob sie am nächsten Tag noch einmal in den Zirkus gehen sollte. «Dann mache ich die Wäsche am Dienstag», sagte sie. «Es hat ihm so gut gefallen. Vielleicht lässt das Mädchen ihn nochmal reiten. Er hat doch sonst kaum eine Freude.»
Um zehn legten sie sich schlafen. Eine halbe Stunde später kam Anita heim, verriegelte das Hoftor, vergaß jedoch, die Küchentür abzuschließen. Und um zwei inder Nacht stand er plötzlich neben Trude, rüttelte sie an der Schulter und flüsterte: «Finger weg.»
Es war nicht ungewöhnlich, dass er Trude aus dem Schlaf riss. Wenn er aufwachte, kam er zu ihr, oft genug zweimal in einer Nacht. Auch den beiden Worten maß Trude keine besondere Bedeutung bei. Sie vermutete, dass er schlecht geträumt hatte, stand im Dunkeln auf, um Jakob nicht zu wecken, und wollte ihn zurück in sein Zimmer bringen.
Aber als sie auf dem Flur das Licht einschaltete, erschrak sie. Sein Schlafanzug war voller Grasflecken und Dreck. «Warst du etwa jetzt noch draußen?», fragte sie.
«Finger weg», sagte er.
«Ja», sagte Trude, «Finger weg. Du darfst nicht weglaufen, wenn es dunkel ist. Wie bist du überhaupt rausgekommen?»
Die Frage war mit der offenen Küchentür rasch beantwortet. Nachdem Trude die Tür verschlossen hatte, zog sie ihm die schmutzigen Sachen aus und frische an, ließ ihn noch einmal auf die Toilette gehen, brachte ihn zurück ins Bett und erklärte: «Wenn du lieb bist und fein im Bett bleibst, darfst du morgen, wenn es hell ist, die Tiere und das Mädchen noch einmal sehen.»
Er war lieb, rührte sich in der Nacht nicht mehr vom Fleck, tanzte am Vormittag nur bei der Scheune herum, ließ
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