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Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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Licht setzen konnte.
    Natürlich war Werner Ruhpold an diesem Abend vorsichtig gewesen und nicht einmal in die Nähe des Verstecksgegangen. Er war zum Kreßmann-Hof geschlendert, hatte den zwangsarbeitenden Igor gebeten, Edith zu warnen und eventuell zu versorgen, bis ihr die Flucht gelang, weil er selbst sich nicht mehr hinauswagte. Man musste davon ausgehen, dass der junge Lukka seinem Vater gegenüber das Maul aufriss. Und der alte Lukka und Wilhelm Ahlsen waren ja sehr gute Freunde.
    Igor erzählte später allen Leuten, er habe Edith noch in der gleichen Nacht gewarnt, sie sei auch sofort geflohen. Anschließend hätte er persönlich die Grube zugeschüttet, damit nicht der Verdacht aufkam, Werner Ruhpold hätte Volksfeinde versteckt. Jeder glaubte Igor, nur Jakob und Paul wussten, dass er log. Und später fragten sie sich, warum. Viel brauchte es nicht, sich auszumalen, wer Edith Stern den Schädel gespalten hatte. Man musste die Zeit und die Umstände bedenken. Ein einsamer Russe, der 1944 nicht im Traum daran denken durfte, seine Heimat wiederzusehen und dort eine Frau zu finden, und eine junge Jüdin, die nur von einem Mann schmerzlich vermisst wurde.
    Werner Ruhpold wartete – ein Jahr, fünf Jahre. Er glaubte auch nach zehn Jahren in unerschütterlicher Naivität noch, dass Edith es geschafft hatte, ins Ausland zu fliehen. Dass sie vielleicht einen anderen Mann kennengelernt, Kinder bekommen und ihn vergessen hatte. Er hoffte, dass sie glücklich war, dass es ihr gutging und sie sich irgendwann doch noch einmal bei ihm meldete. Bis zu seinem Tod im Frühjahr 81 glaubte und hoffte Werner Ruhpold das.
    «Ich hatte immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich ihn sah», erzählte Jakob seinem Sohn. «Paul und ich, wir haben ein paarmal überlegt, ob wir es ihm nicht doch sagen sollten. Aber wir wollten den alten Igor nicht in die Klemme bringen. Er war ja auch nur eine arme Haut,und Paul konnte sich nicht vorstellen, dass er es getan hatte. Nur kam kein anderer in Frage. Aber wir waren uns immer einig, das hätte Werner nicht verkraftet. Er war ein guter Kerl, so ein stiller, sanfter. Wenn er hinter dem Tresen stand und einen anlächelte, ging einem das manchmal durch und durch. Und als er dann tot war, habe ich mir gedacht, jetzt sind sie endlich zusammen.»
    Sie hatten den Waldsaum erreicht. Jakob blieb stehen und zeigte mit ausgestrecktem Arm in die plattgetretenen Nesseln. «Da hinten ungefähr muss es gewesen sein.»
    Die alte Buche mit dem gespaltenen Stamm war Anfang der fünfziger Jahre gefällt worden. Ihr Wurzelstumpf hatte noch ein paar Jahre überdauert, ehe er vermoderte. Jetzt gab es ein paar junge Fichten an der Stelle.
    Jakob seufzte: «Sie liegt wohl immer noch da unten.»
    Ben nickte ernsthaft.
    «Und vielleicht», sagte Jakob gedehnt, «liegt auch Erichs Tochter hier irgendwo. Wo die Autos von der Diskothek aus hinfahren, wissen wir beide doch genau.»
    Wieder nickte Ben, und Jakob zeigte mit dem Arm in die Runde. «Hier ist viel Platz. Und wenn sie tief genug verscharrt sind, können auch Hunde nichts machen. Aber um sie tief genug zu verscharren, muss einer auch tief genug denken können. Oder er muss sich was anderes einfallen lassen.»

ALTHEA BELASHI
    Im August 80, fünfzehn Jahre bevor Marlene Jensen verschwand, gastierte ein Zirkus im Dorf. Das Zelt hatten sie auf dem Marktplatz aufgeschlagen, wo sich im Mai und im September die Budenbesitzer und Schaustellerzur Kirmes und zum Schützenfest einfanden. An jedem Laternenpfahl, jedem Verteilerkasten und etlichen Hauswänden waren handgemalte Plakate geklebt, auf denen besondere Attraktionen angekündigt wurden.
    Normalerweise gab es so etwas nur in Lohberg. Aber dort war in dem Jahr kein Platz für fahrendes Volk, das seine Tiere nur mit Mühe über den Winter brachte und die Bevölkerung um Spenden für Futter anbettelte. Es war eine armselige Angelegenheit; ein rundes Zelt mit nicht zu übersehenden Flickstellen, ein paar alte, hölzerne Wagen für Mensch, Tier und Material, Wäscheleinen dazwischengespannt.
    Ein paar Bewohner der umliegenden Häuser beschwerten sich. Erich Jensen behauptete, man könne die Fenster des Schlaf- und des Kinderzimmers weder am Tag noch in der Nacht öffnen wegen der Fliegen und des penetranten Gestanks. Es sei eine Zumutung in der Sommerhitze. Heinz Lukka, der damals noch neben der Apotheke zur Miete wohnte, empfand mehr den Lärm als Belästigung.
    Dabei gab es nachts keinen Lärm, und mit dem Geruch konnte

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