Der Puppengräber
eine schwangere Frau zu Gesicht bekam. Erichfürchtete, sie könne aus lauter Kummer über die Fehlgeburt im November in Depressionen verfallen, wo Antonia nun schon das vierte Kind erwartete. Erich hatte Maria vorsorglich für zwei Wochen zur Kur geschickt.
Bei Illa von Burg hatte der Gynäkologe einen Knoten in der Brust festgestellt. Toni hatte in den Tagen, die Illa im Krankenhaus verbringen musste, mehrfach in Ruhpolds Schenke gesagt, wenn es bösartig sei, würde er mit ihr gehen. Zum Glück stellte sich bald heraus, dass es harmlos war.
Doch lieber als über andere sprach Trude mit Antonia über eigene Pläne und Wünsche. Sie hoffte inständig, dass Jakob vielleicht doch noch zu einem gesunden Sohn kam. Jakob träumte davon, Schützenkönig zu werden. Nicht in diesem Jahr. Da gab Trude mit ihrem prallen Leib kaum eine präsentable Königin ab. Aber im nächsten Jahr oder im übernächsten, wenn das vierte Kind aus dem Gröbsten heraus war, wenn Ben sich weiterhin so friedlich und genügsam zeigte. Solch eine Stunde mit Antonia entschädigte Trude für viele Mühen und Nöte. Leider war es nicht von langer Dauer.
Im Spätsommer, als Jakob abends einmal nach dem Baumhaus sehen und prüfen wollte, ob der Boden noch in Ordnung war, fand er ein paar bunte Fetzen, die einmal ein Puppenkleid gewesen waren. Dabei lagen ein Puppenbein, ein Glasauge und ein Küchenmesser. Und Jakob hatte wie Trude geglaubt, es sei vorbei. Kopf, Leib, Arme und das zweite Bein der Puppe fehlten. Und Jakob wusste im ersten Moment nicht, ob er weinen oder mit den Fäusten gegen die Wände schlagen sollte.
Er stürmte zurück ins Haus, riss – dicht gefolgt von der ahnungslosen und hochschwangeren Trude – die Tür zu Bens Zimmer auf. Dann stand er auch schon neben dem Bett, zerrte den schlafenden Jungen an den Schulternhoch und drosch auf ihn ein. Er schlug so lange, bis Trude ihre Erstarrung abschüttelte und ihm in den Arm fiel.
Ben verkroch sich wimmernd in die hinterste Ecke seines Bettes. Jakob schüttelte die Faust gegen das jammernde Bündel. «Sofort kommst du mit raus», presste er hervor. «Und wo immer du sie gelassen hast, du wirst sie wieder herbeischaffen.»
Trude begriff endlich, worum es ging. Sie half Ben beim Anziehen, ging mit einer Lampe vor ihm her in Gerta Frankens Garten und leuchtete ihm, während Jakob einen Spaten aus der Scheune holte. Ben irrte wimmernd und schluchzend zwischen den Sträuchern und Nesseln umher. Nicht begreifend, was Jakob von ihm erwartete, wollte er ins Baumhaus klettern. Jakob riss ihn zurück. Ben hob ein Bein, um in die Viehtränke zu steigen. Jakob drosch wieder auf ihn ein, hielt erst inne, als Trude laut schluchzte.
«Die Puppe», schnaufte Jakob. «Du hast sie kaputt gemacht. Und dann? Was machst du damit? Verbuddelst sie irgendwo! Man findet ja immer nur Stücke. Aber das hat jetzt ein Ende!»
Dann trieb Jakob den Spaten in den Boden. Ben wollte hinüber in Trudes Garten. Als sie ihn endlich gewähren ließen, lief er zur Apfelwiese, blieb neben dem Sandpütz stehen, schaute Jakob mit vom Weinen geschwollenen Augen ins Gesicht, zeigte auf den offenen Pütz und schluchzte: «Finger weg.»
«Ja», fauchte Jakob, «hier hast du nichts zu suchen. Aber deshalb sind wir nicht draußen.»
Jakob führte ihn zurück in Gerta Frankens Garten, drückte ihm den Spaten in die Hand, und Trude leuchtete ihm. Eine Viertelstunde verging, ehe das Schaufelblatt zum ersten Mal auf einen kleinen Widerstand stieß.Es war nur ein dicker Stein, den Ben ins Lampenlicht beförderte.
Er starrte ängstlich zu seinem Vater hin und duckte sich, als Jakob einen Schritt auf ihn zukam. Aber Jakob wollte sich nur nach dem Stein bücken. Er warf ihn ins Gebüsch und forderte: «Weitergraben. Ich will keine Steine sehen, nur die Puppen.»
Es fand sich in dem Loch nichts mehr. In seiner Furcht vor weiteren Schlägen grub Ben in der Nacht die halbe Wildnis um. Grub an den folgenden Tagen Löcher an allen möglichen Ecken von Gerta Frankens Garten. Er buddelte rund um die Viehtränke, sodass die sich erst zur einen, dann zur anderen Seite neigte, um schließlich weiter in den Boden einzusinken.
Trude spürte wieder das Herz in krampfhaften Schlägen pochen, wenn sie ihn frühmorgens in die Scheune schleichen sah. Den Kopf hielt er so tief zwischen die Schultern gezogen, als habe Jakob ihm nun endgültig das breite Kreuz gebrochen. Wenn er dann zu graben begann, im Bemühen, den Wunsch seines Vaters zu
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