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Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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fragte mehr als einer: «Und wenn sie nicht lügen?»
    Der für Teppichböden und Tapeten zuständige Verkäufer im Baumarkt Wilmrod, mit dem Jakob seine Frühstückspause an diesem Freitag verbrachte, fragte es auch. Jakob hatte im Juni den Fehler gemacht, dem Mann von Bens Zusammentreffen mit Albert Kreßmann und Annette Lässler zu berichten. Natürlich hatte er auch erzählt, wie Paul, Antonia und Trude darüber dachten. Trotzdem!
    Kaum saßen sie sich im Aufenthaltsraum gegenüber, brachte der Verkäufer das Thema zur Sprache. Er spekulierte über die wenigen Anwohner in der einsamen Gegend. Der Lässler-Hof, Lukkas Bungalow, Jakobs Anwesen und sonst nur Feld und Wiesen. Nicht einmal eine Beleuchtung auf den Wegen.
    «Wenn ich mir vorstelle», sagte der Verkäufer, «wie das arme Ding sich gefühlt haben muss, als die beiden es im Stockfinstern aus dem Auto warfen. Was hättest du gemacht an ihrer Stelle?»
    «Ich wäre nach Hause gegangen», sagte Jakob.
    Sein Kollege nickte bedächtig. «Und wie weit ist es von diesem Weg bis zur Apotheke?»
    Jakob zuckte mit den Achseln. «Kommt drauf an, wo man steht. Von Lukka aus gibt es zwei Möglichkeiten, zurück zur Landstraße und von da ins Dorf. Oder den Weg runter zur Bachstraße.»
    «Es ist in jedem Fall ein gutes Stück zu laufen», meinte der Verkäufer. «Aber hast du nicht gesagt, Lässler sei ihr Onkel?»
    Jakob nickte.
    «Da wird sie eher versucht haben, zu ihm zu gehen.»
    «Da hätte sie besser zu Lukka gehen können», sagte Jakob wohl wissend, dass der Anwalt wahrscheinlich nicht daheim gewesen war. Aber da der Verkäufer nur spekulierte, durfte Jakob das auch tun. «Das sind achthundert Meter weniger, und Lukka hat Telefon. Vielleicht hätte er sie sogar heimgefahren. Er kann zwar ihren Vater nicht riechen, aber ihrer Mutter hätte er sicher gerne eine Freude gemacht. Für die hat er sich sogar mal einen Zahn ausschlagen lassen.»
    «Und Lukka hat nichts gehört?», fragte sein Kollege.
    «Woher soll ich das wissen?», sagte Jakob. «Aber er kann nichts gehört haben, wenn nichts da war. Die haben sie nicht rausgeschmissen.»
    «Etwas anderes konnte die Polizei ihnen aber nicht beweisen», meinte der Verkäufer und fügte an: «Vielleicht weiß dein Ben, was mit dem Mädchen passiert ist.»
    Jakob kaute auf einem Bissen Brot, spülte ihn mit viel Kaffee hinunter und fragte mit mühsam unterdrückter Wut: «Willst du damit andeuten, Ben hätte dem Mädchen was getan?»
    «Quatsch», sagte sein Kollege. «Wenn er so veranlagt wäre, hätte er im Juni dem jungen Kreßmann den Hals umgedreht und sich Lässlers Tochter selbst vorgenommen. Ich dachte nur, vielleicht ist ihm was aufgefallen. Die Scheinwerfer vom Auto müsste man doch weit sehen können. Und wenn er draußen war. Oder war er nicht?»
    «Doch», sagte Jakob gedehnt. Er hatte auch den Fehler gemacht, von Bens nächtlichen Streifzügen zu erzählen.
    «Man müsste ihn einfach mal fragen, ob er was gesehenhat», meinte der Verkäufer. «Das müsste natürlich ein Fachmann tun. An deiner Stelle würde ich mich da mal drum kümmern. Das wäre doch ein Hammer, Jakob, wenn dein Ben die Sache aufklären könnte. Stell dir mal vor, was die Zeitungen schreiben würden.»
    Er ging Jakob entsetzlich auf die Nerven mit seinem Gefasel. Es komme nur darauf an, setzte der Kollege seinen Vortrag fort, die Fragen mit den richtigen Hilfsmitteln zu unterstützen, damit Ben überhaupt erst einmal begreifen könne, was man von ihm wollte. Zuerst müsse man ihm ein Foto von Marlene Jensen zeigen. Wenn sich dann herausstellte, dass er das Mädchen gesehen hatte, müsse man ihn ein Bild malen lassen. Es sei erstaunlich, welch aufschlussreiche Bilder geistig Behinderte zustande brächten. Er habe erst kürzlich einen Artikel darüber gelesen, wie sie ihre Ängste oder etwas anderes in Farben und Formen ausdrückten. Das müssten natürlich Fachleute interpretieren.
    Jakob packte das angebissene Brot wieder ein, schraubte die Thermoskanne zu und erhob sich mit dem Hinweis, seine Frühstückspause sei zu Ende, weil er es nicht mehr hören konnte. Aber er hatte es gehört. Und es verfolgte ihn am Vormittag, begleitete ihn in die Mittagspause, schlich am Nachmittag um ihn herum, wie Ben am Bendchen, am Bruch und um Lukkas Bungalow herumschlich.
    Ein Bild malen lassen – lächerlich. Allein die Vorstellung, Ben einen Zeichenstift in die mächtigen Pranken zu drücken, nötigte Jakob ein unfrohes Grinsen ab. Er hatte noch

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