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Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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Treppe hinauf. Im ersten Moment dachte Trude, er wolle in sein Zimmer. Dann hörte sie das typische Quietschen der Schlafzimmertür und hetzte nach oben. Sie kam gerade noch rechtzeitig. Er hielt das winzige Geschöpf bereits in den Händen, und der kleine Körper schwebte mit nach hinten baumelndem Köpfchen über der Wiege.
    Trude riss ihm das Baby aus den Fingern, legte es zurück, hob drohend den Zeigefinger. «Nein, nein! Das ist keine Puppe, das kannst du nicht haben. Finger weg! Hörst du, Finger weg.»
    Am Ende der zweiten Woche war Trude überzeugt, dass sie über kurz oder lang in der Mitte auseinanderbrechen würde. Ben wich nicht mehr von ihrer Seite, stand daneben und tatschte mit seinen großen Händen in das winzige Gesicht, wenn sie das Kind stillte. Wenn sie es badete, tauchte er bis zu den Unterarmen mit in die kleine Wanne ein, rieb über Ärmchen, Beinchen, den Bauch und den Po. Und immer wieder über das empfindliche Köpfchen.
    Am Ende der dritten Woche kam Antonia auf den Schlösser-Hof. Den eigenen Säugling im Arm, stand sie neben der Wiege in Trudes Schlafzimmer, den Blick nachdenklich auf Ben gerichtet, der mit andächtig erregter Miene und zappeligen Händen am Fußende der Wiege stand und unentwegt Fein murmelte.
    Trude war mager, blass und abgehetzt. «Ich muss das Zimmer ständig abschließen», sagte sie. «Sonst holt er sie raus.»
    Sie erzählte, dass er erst zwei Tage zuvor das Baby aus der Küche in den Hühnerstall hatte tragen wollen. Unter den Arm geklemmt wie sonst die Puppen, hatte er es über den Hof geschleppt, als Trude zum Tor laufen musste, um dem Postboten zu öffnen.
    Antonia erkundigte sich zögernd: «Und weggeben willst du ihn nicht?»
    Trude schüttelte nur den Kopf. Antonia atmete tief durch, streifte Ben mit einem weiteren nachdenklichen Blick und entschied kurzerhand: «Dann nehme ich das Baby mit. Nur für die erste Zeit. Wenn es dir recht ist.»
    Es war Trude recht. In der ersten Zeit ging sie Abend für Abend zum Lässler-Hof, lieferte die Muttermilch ab, freute sich, wie ihr jüngstes Kind wuchs und gedieh, und bedankte sich mit stummen Blicken bei Antonia, die von lauten Dankesbezeugungen nichts wissen wollte.
    Jakob besuchte die Lässlers und seine jüngste Tochter jeden Sonntagnachmittag. Als bei Trude die Milch versiegte, übernahm er auch die Abende. Es war der Freundschaft mit Paul nicht abträglich. Was sich durch familiäre Verpflichtungen ein wenig abgekühlt hatte, erwärmte sich wieder.
    Sie sprachen über die alten Zeiten und die alten Träume. Sie lachten noch einmal über Heidemarie von Burg und ihre Phobie vor dem Ehebett. Erinnerten sich wehmütig an Heidemaries kleine Schwester Christa. Gedachten mit ernster Miene der jungen Edith Stern und spekulierten, wer sie auf dem Gewissen haben mochte.
    Kreßmanns Igor, so sah Jakob es. Igor hatte gelogen damals, dafür musste es plausible Gründe gegeben haben. Vermutlich hatte er dann auf dem Sterbebett sein Gewissen erleichtern wollen, Werner Ruhpold rufenlassen und ihm gebeichtet. Anschließend war genau das eingetreten, was Jakob und Paul mit ihrem Schweigen hatten verhindern wollen: Werner erhängte sich.
    Paul hatte erhebliche Zweifel an dieser Version. Igor war eine Seele von Mensch gewesen. Er hatte nicht mal die Fliegen totgeschlagen, die ihn bei der Feldarbeit belästigt hatten. Dass er sich an Edith Stern vergriffen haben sollte – unvorstellbar. Da nahm Paul eher an, dass Igor damals so bald als möglich zum Bendchen marschiert und zu spät gekommen war. Was er anschließend über Ediths gelungene Flucht erzählt hatte, musste reine Barmherzigkeit gewesen sein. Nur hatte er dann eben sein Geheimnis nicht mit ins Grab nehmen wollen. Paul tippte auf Wilhelm Ahlsen.
    Das konnte Jakob sich nicht vorstellen. Wilhelm Ahlsen hätte Edith draußen kaum den Schädel eingeschlagen. Er hätte sie an den Haaren ins Dorf geschleift und seinen Triumph gefeiert, bevor er sie auf den Weg schickte, den ihre Eltern, Brüder und die Familie Goldheim genommen hatten. Und Werner Ruhpold und Kreßmanns Igor hätte Wilhelm Ahlsen hinterhergeschickt.
    Dann schon eher der alte Lukka, meinte Jakob. Wenn Heinz damals entdeckt hatte, warum Werner Ruhpold Proviant mit auf seine langen Spaziergänge nahm, musste man davon ausgehen, dass Heinz es seinem Vater brühwarm erzählt hatte.
    Nur war der alte Lukka nicht der Typ gewesen, der sich die Finger dreckig machte, gab Paul zu bedenken. Der alte Lukka stand lieber

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