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Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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Sonntagnachmittag und da, wo es keiner sah, Händchen halten. Abends um neun noch ein brüderlich scheuer Kuss vor der Haustür, mehr war nicht drin bei Heidemarie. Und das nach zehn Jahren, eigentlich nach fünfzehn. Sie waren schon vor der Verlobung fünf Jahre «miteinander gegangen», und mehr hatten sie in den fünf Jahren auch nicht getan.
    «Manchmal denke ich», hatte Paul oft gesagt, «sie hat sie sich zunähen lassen. Sei mal ehrlich, Jakob, das kann doch nichts werden auf Dauer.»
    Jakob hatte jedes Mal zugestimmt.
    Auch Heinz Lukka hatte in Ruhpolds Schenke erklärt: Vor die Wahl gestellt, eine pummelige Trockenpflaume gegen einen knackigen Paradiesapfel einzutauschen, hätte er sich ebenso entschieden wie Paul. Innerhalb der eigenen Familie wurde Pauls Wahl anfangs nur von Mariagebilligt. Mit ihren siebzehn Jahren fand sie italienische Eisdielen aufregender als Schweinezucht. Maria erhoffte sich einen Vorteil von der Verschwägerung, und tatsächlich bekam sie bei Besuchen in Lohberg so manchen Eisbecher gratis.
    Schon bei der Hochzeit war offensichtlich, warum Paul das Standesamt förmlich gestürmt hatte. Kurz darauf kam Antonia mit Andreas nieder. Und Paul war auch noch stolz auf das erbärmliche Bündel Mensch, das man ihm in den Arm legte.
    Niemand rechnete ernsthaft damit, dass der Kleine die erste Woche überlebte. Es gab ein paar Stimmen, die den angeborenen Herzfehler auf göttliche Gerechtigkeit zurückführten. Andere schoben ihn der Nationalität seiner Mutter in die Schuhe. Gerta Franken und Jakobs Mutter überlegten bereits, ob es statthaft sei, dieses Kind, rein rechnerisch ein Kind der Sünde, auf dem hiesigen Gottesacker zu bestatten. Da demonstrierte Andreas Lässler den an seinem Schicksal interessierten Menschen, dass er das italienische Feuer und den Kampfgeist seiner Mutter geerbt hatte. Er überstand die Herzoperation und erholte sich erstaunlich rasch.
    Nachdem diese Hürde genommen war, bewies Antonia allen Skeptikern, dass auch die Tochter eines Eisdielenbesitzers wusste, was auf einem Bauernhof getan werden musste. Ihre Ehe mit Paul war schon vor der Trauung überaus glücklich gewesen, daran änderte sich nach der Hochzeit nichts. Zwei Jahre nach dem ersten kranken gebar Antonia den zweiten kerngesunden Sohn Achim. Vier Jahre später kam die erste Tochter auf die Welt, ebenfalls kerngesund.
    Und Antonia verstand sich nicht nur aufs Kinderkriegen. Zwischen der ersten Geburt und der zweiten Schwangerschaft sorgte sie dafür, dass das ältere Wohnhausgründlich renoviert und die Stallungen modernisiert wurden. Nach Achims Geburt pflegte sie trotz der kleinen Kinder ihre Schwiegermutter mit wahrer Hingabe, als diese wegen eines Krebsleidens bettlägerig wurde. Zusätzlich führte sie an langen Abenden mit ihrem Schwiegervater heftige Streitgespräche, von denen Pauls Vater respektvoll schwärmte: Noch nie habe ihm ein Mensch mit solchem Elan Kontra gegeben.
    Im Oktober 81 schenkte Antonia ihrem Paul dann die zweite gesunde Tochter. Das Kind wurde auf den Namen Britta getauft. Und nur eine Woche nach Brittas Geburt bewies Antonia, dass die Tochter eines italienischen Eisdielenbesitzers mehr Herz und Verstand im Leib hatte als jeder halbwegs vernünftige Mensch im Dorf.
     
    Zwei Wochen vor Antonia und vier Wochen zu früh kam Trude nieder, notgedrungen im Ehebett während der Nachtstunden. Aber das Kind wog sechs Pfund, war kräftig und gesund, wie der eilig gerufene Arzt feststellte.
    Am nächsten Morgen war Trude schon wieder auf den Beinen. Zwar sorgte Jakob dafür, dass ein Frühstück auf den Tisch kam, doch anschließend musste er sich um andere Dinge kümmern. Und Ben wollte noch im Schlafanzug in Gerta Frankens Garten, um weiterzugraben.
    Freude über die dritte Tochter wollte bei Trude nicht aufkommen. Jakob dagegen war glücklich, wieder nur ein Mädchen, aber rosig und rund, mit kräftigen Lungen und all den Reaktionen, die ein normaler Säugling haben sollte, die Ben nicht gehabt hatte. Jakob gab am Abend in Ruhpolds Schenke eine Lokalrunde und ließ die Anwesenden auf das Wohl seiner jüngsten Tochter anstoßen.
    Trude fühlte sich schlapp und schwach, glaubte am Ende der ersten Woche nach der Geburt, nie zuvor somüde gewesen zu sein. Zu dem Zeitpunkt unterbrach Ben seine wüste Graberei.
    Trude hatte vergessen, das Schlafzimmer abzuschließen, nachdem sie den Säugling versorgt und wieder hingelegt hatte. Als ob er es gerochen hätte, kam er ins Haus und stieg die

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