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Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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hineinbefördert hatte. Sie hörte zuerst nur ein seltsam teilnahmsloses «Finger weg». Daraus schloss sie im ersten Moment, dass niemand nachgeholfen hatte.
    «Ja, ja», sagte sie und nickte mit Tränen in den Augen. «Wie oft hab ich dir gesagt, dass du nicht so nahe an den Pütz gehen darfst? Nun siehst du, was geschieht, wenn du nicht auf mich hörst. Das hätte viel schlimmer ausgehen können. Was hast du nur gemacht an dem Ding?»
    «Rabenaas», murmelte er.
    Trude legte entsetzt eine Hand vor den Mund, beugte sich dichter über ihn, damit niemand es hörte, und fragte: «Hat Bruno dich hineingeworfen? Hat er dir das angetan, jetzt sag schon.»
    Er antwortete nicht. Erschöpft von Schmerzen, Angst und Verwirrung schloss er die Augen.

26.   AUGUST 1995
    Schon um fünf in der Früh trieb es Trude aus dem Bett. Geschlafen hatte sie kaum – nach all dem, was Jakob über Heinz Lukka erzählt hatte. Infolge der vier Bier schlief Jakob ein wenig fester als üblich. Er hörte nicht, dass sie aufstand und über den Flur zu Bens Zimmer schlich. Ein kurzer Blick hinein. Das Bett war leer.
    Trude schloss die Tür wieder, ging ins Bad und anschließend die Treppe hinunter. Sie setzte sich an den Küchentisch, lahm und schwer, bis an den Hals gefüllt mit einem grauen Brei aus Panik. Konnte Heinz Lukka das getan haben? Sich mit Freundlichkeit und Schokoladenriegeln einen Mörder dressiert? Fand man nur deshalb nichts da draußen, weil ein Mann mit Verstand dafür sorgte, dass es unentdeckt blieb? Schaffte Heinz die Leichen vielleicht im Auto weg? Entging ihm dabei, dass Ben ein paar Kleinigkeiten für sich behielt?
    Bis kurz vor sechs verlor Trude sich in ihren Überlegungen, fühlte das leere Bett wie einen Zentner Blei auf den Schultern. Dann raffte sie sich auf, machte Frühstück und weckte Jakob. «Sei leise», sagte sie. «Ben schläft noch.»
    Als Jakob um sieben das Haus verließ, ging sie in den Hühnerstall, getrieben von der Hoffnung, ihn dort zu finden. Der Hühnerstall war immer sein Zufluchtsort gewesen. Oder der Ort, an dem das Mysterium seines Lebens begonnen hatte, an dem er die Zärtlichkeit eines flaumweichen Körpers entdeckte und anschließend Prügel bezog.
    Trudes Hoffnung wurde enttäuscht. Es fanden sich nur ein paar Eier. In den Gelegen nahe der Tür lagen fünf Stück, sie waren noch warm. Trude raffte die Schößedes Kittels zusammen, legte die Eier in die Stoffmulde und ging gebückt weiter. Es war dämmrig, ihre Augen gewöhnten sich bald daran. So bemerkte sie auch bald die Stoffpuppe in einem Nest an der linken Stallwand. Und an der Puppe bemerkte sie einen bunten Lappen.
    Mit einer Hand hielt sie die Kittelschöße, mit der freien griff sie nach Bens Spielzeug und betrachtete den Lappen mit gerunzelter Stirn. Er war von einem grellen Gelb, eine Farbe, die in Modekatalogen mit Neongelb bezeichnet wurde, zusätzlich gab es noch zahlreiche pinkfarbene Tupfen.
    Trude erkannte in dem Lappen rasch ein Unterhöschen. Es war der Puppe über die am Körper festgenähte Kleidung gestreift worden. Trude vergaß die Eier, ließ einfach den Kittel los, riss das Höschen herunter, setzte die Puppe wieder ins Nest, richtete sich auf, ging zurück zur Tür und betrachtete ihren Fund im hellen Morgenlicht.
    Das Höschen war sauber, von ein wenig anhaftendem Hühnermist abgesehen. Als sie es unter die Nase hielt, duftete es noch schwach nach irgendeinem Parfüm oder Waschpulver. Es gab keine Blutspuren, auch sonst nichts Verräterisches. Der wüste Herzschlag beruhigte sich wieder, der Stich, der durch ihre Brust gefahren war, klang allmählich ab.
    Sie rannte zur Haustür, weiter in die Küche, warf den kräftig getupften Lappen in Richtung des Kohleherdes, sah das Geschirr vom Abend, die beiden Teller, ein Löffel und eine Gabel. Kein Messer! Sie war absolut sicher, dass sie es gestern nicht mehr abgewaschen und weggeschlossen hatte. Eine unverzeihliche Nachlässigkeit, aber was Jakob über Heinz Lukka erzählt hatte   …
    Minutenlang stand sie da, den Rücken im Wechsel übergossen von siedend heißen Selbstvorwürfen undeiskalter Furcht. Der Blick wanderte langsam hin und her, von der Gabel zu dem gelben Lappen auf dem Fußboden. So ein Höschen gab es im Haus nicht, hatte es auch nie gegeben.
    Wenig später brannte ein Feuer aus alten Zeitungen. Darunter war auch die, die Jakob zum Altpapier in den Keller gebracht hatte, über die er am Nachmittag reden wollte. Als Trude sich über den offenen Herd

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