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Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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einer ahnungsvollen Unruhe erfüllt, als sei sie durch einen sechsten Sinn mit ihm verbunden. Sie legte sich zwar wenig später ins Bett, kam jedoch wegen des zittrigen Herzschlags nicht zur Ruhe. Kaum dass es zu dämmern begann, war sie bereits wieder auf den Beinen.
    Und wieder in den Hühnerstall, in jeden Winkel derScheune, in den Garten, zum Baumhaus. Und was ihr in der Nacht entgangen war, im frühen Tageslicht war es nicht zu übersehen. Aus dem Baumhaus bemerkte Trude die frische Bruchstelle am Pütz. Sie lief auf die Apfelwiese, legte sich auf den Bauch und kroch so nahe heran, dass sie über den Rand in die Tiefe schauen konnte.
    Zuerst sah sie nichts von Bedeutung, die Sonne stand noch ungünstig, unten war es einfach nur schwarz. Aber dann meinte sie, etwas rascheln zu hören. Im ersten Moment war es, als presse eine Faust ihr das Herz zusammen. Wie oft hatte Jakob gesagt: «Was da hineingerät, ist aus der Welt. Man kann nicht reinklettern, um es zurückzuholen. Dabei würde man nur selbst verschüttet.»
    Trude rief nach ihm, und er gab Antwort. Es war nur ein schwaches Jammern. «Um Gottes willen», murmelte Trude. Dann rief sie lauter: «Keine Angst, ich bin da. Ich hol dich raus. Bleib nur still liegen, dass du nicht tiefer rutschst. Hast du gehört? Beweg dich nicht, dass dir nichts auf den Kopf fällt.»
    Es war niemand in der Nähe, der ihr eigenes Rufen gehört hätte, mit Ausnahme von Gerta Franken, die jedoch nichts unternahm, auch nicht viel unternehmen konnte ohne Telefon in der Nähe. Zwangsläufig musste Trude zurück ins Haus, um Jakob zu holen. Hätte sie selbst da unten gelegen, es wäre nur halb so schlimm gewesen. Schweren Herzens versuchte sie, Ben ihr Handeln zu erklären, wohl wissend, dass er sie nicht verstand und sich fürchtete, wenn sie wieder fortging.
    Es dauerte bis weit in den Vormittag und war eine äußerst aufwendige Aktion, die niemandem im Dorf verborgen blieb. Zuerst versuchte Jakob, seinen Sohn zu bergen, unterstützt von Paul Lässler und Bruno Kleu, die er telefonisch zu Hilfe rief. Auch Otto Petzhold kamdazu und riet als Erster, die Feuerwehr zu alarmieren. Niemand hörte auf ihn.
    Doch als immer mehr Erdreich nachsackte, gelangte auch Paul Lässler zu der Ansicht, dass es mit Seilen und Stangen allein nicht zu schaffen sei, dass Jakob nur sein eigenes Leben riskierte. Daraufhin bot Bruno Kleu an, sich anstelle von Jakob in den Trichter hinabzulassen. Mit einem starken Seil um den Bauch, meinte Bruno, könne man ihn zurückziehen, wenn er verschüttet würde. Es sei ja nur lockere Erde, darunter könne so schnell niemand ersticken.
    Für die Männer war Brunos Vorschlag nur hirnverbrannter Leichtsinn und absolut unnötiges Starker-Mann-Spielen. Für Trude war es ganz etwas anderes. Und zu dem Verdacht, den sie seit fast zwei Jahren mit sich herumtrug, kam ein weiterer. Dass Bruno Kleu nun endlich versuchen wollte, einen lästigen Zeugen auf elegante Weise zu beseitigen. Da konnte er am Ende sogar behaupten, er habe unter Einsatz seines eigenen Lebens getan, was getan werden konnte, um Ben zu retten. Leider sei ihm der Junge aus den Armen gerutscht oder er habe ihn gar nicht erst zu packen gekriegt oder sonst etwas.
    Ohne ein Wort ging Trude zur Scheune und weiter ins Haus, griff nach dem Telefon und wählte den Notruf. Zwanzig Minuten später traf die freiwillige Feuerwehr aus Lohberg ein. Mit langen Leitern und Brettern sicherten die Männer den Einstieg, ehe ein Freiwilliger mit einem Seil um den Bauch an einer Winde die drei Meter hinuntergelassen wurde.
    Es verging noch fast eine Stunde, ehe Ben in der Notaufnahme des Krankenhauses lag. Trude stand neben ihm und hielt seine Hände fest, während ein Arzt die Rippen und den Kopf abtastete und diverse Röntgenaufnahmen anordnete.
    Gebrochen war nichts, geprellt, gestaucht oder mit Hämatomen und Platzwunden übersät fast alles. Aber im Krankenhaus zog niemand in Betracht, dass die Vielzahl der Verletzungen andere Ursachen haben könnte als den Sturz in die Tiefe. Ben bekam einen festen Wickel um den Brustkorb, Salbenverbände um Kopf, Arme und Beine, Eisbeutel auf die Augen, breite Pflasterstreifen auf Nase und Wangen. Als der Arzt endlich von ihm abließ, lag Ben wie eine Mumie auf dem weißen Laken.
    Trude setzte sich zu ihm, strich ihm behutsam über die wenigen Stellen blanker Haut und bemühte sich, in Erfahrung zu bringen, wie er in den Pütz gelangt war, ob ihn vielleicht sogar einer seiner «Retter»

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