Der Puppengräber
beugte, um das Unterhöschen den Flammen zu überlassen, sah sie gerade noch, wie sich das makellose Puppengesicht von Marlene Jensen schwarz färbte, um gleich darauf ausgelöscht zu werden. Es war fast wie ein Sinnbild.
Sie rieb den Stoff unschlüssig zwischen den Fingern, ließ das neongelbe Höschen dann fallen, als stehe es bereits in Flammen. Es brannte rasch weg.
So eine auffällige Farbe und die grellen Tupfen, wer trug denn so was? Trude schob die Herdringe zurück in die Fassung und setzte sich wieder an den Tisch. «Sie war höchstens Anfang zwanzig», hatte Jakob gesagt. «Und sie wollte partout nicht bis vor Lukkas Tür gebracht werden.» Sie waren so leichtsinnig, die jungen Frauen heutzutage, fühlten sich stark und ahnten nicht, was alles geschehen konnte.
Aber so dumm konnte ein Mann wie Heinz Lukka nicht sein, dass er seinen dressierten Freund auf eine junge Frau hetzte, von der man in Ruhpolds Schenke wusste, dass sie zu ihm wollte. Da musste doch jeder mit seinen Fragen bei ihm beginnen. Vorausgesetzt, jemand vermisste die Frau. Wolfgang Ruhpold hatte zu Jakob gesagt: «Wenn so eine verschwindet …» Und nach allem, was Edith Stern Jakob erzählt hatte, musste man bezweifeln, dass ihre Familie von dem Besuch im Dorf wusste.
Sekundenlang flatterte Trudes Herz kraftlos vor sichhin, pumpte verzweifelt gegen das in Furcht verkrampfte Aderngeflecht an einem halben Liter Blut, brachte ihn nur tröpfchenweise in die Höhe. Ein heftiger Schwindel zog ihr durchs Hirn. Sie rief sich mit Gewalt zur Ordnung.
Es war doch nur ein Höschen. Vermutlich hatte Ben wieder ein Liebespaar aufgestöbert, das sich dann verzog – so eilig, dass ein Höschen zurückblieb.
Ein Liebespaar, beide aus dem Dorf natürlich. Trude sah es vor sich. Auf einer Decke am Waldrand, so machten es viele. Es war bequemer als die engen Sitze in einem Auto. Und selbstverständlich hatten sie Ben erkannt, als er neben ihnen auftauchte. Zuerst hatten sie sich ein bisschen erschrocken, das war verständlich. Aber sie hatten auch sofort gewusst, dass von ihm keine Gefahr drohte. Lästig war er ihnen geworden, nur lästig. Da hatten sie sich lieber verzogen und in der Eile das Höschen vergessen. Genau so musste es gewesen sein.
Wo er sich nur wieder herumtrieb? Trude kontrollierte den Herd, fand noch ein wenig Asche, zerbröselte sie mit dem Schürhaken, drückte sie durch das Feuerrost, schob die Ringe wieder über die nun leere Feuerung. Dann ging sie hinauf, holte aus alter Gewohnheit einen Putzlappen aus dem Bad, stellte sich ans Fenster in seinem Zimmer und polierte die Scheibe, rieb Kreis um Kreis über das Glas und schaute sich die Augen aus dem Kopf.
Weit draußen hing eine lichte Staubwolke in der Luft. Ein Mähdrescher zog seine Bahnen in Richard Kreßmanns Weizen am Bendchen. Ein leichter Wind trieb den Staub Richtung Südosten zum Bruch hinüber.
Auf dem Weg zwischen Bruch und Bendchen fuhr ein heller Mercedes, obwohl der Weg dort nicht asphaltiert war. Albert Kreßmann fuhr immer die wesentlich schlechtere Strecke am Lässler-Hof vorbei, wenn er kontrollierte,ob die Arbeiter auch zügig voranmachten. Auf dem Rückweg stattete Albert dann meist Paul und Antonia einen kurzen Besuch ab. Manchmal hielt er auch am Bruch und schaute nach, ob dort jeder Stein noch so lag wie seit fünfzig Jahren. Albert spielte gerne den Herrn auf seinem Land, und der Bruch gehörte nun einmal dazu.
Von Ben war weit und breit nichts zu sehen. Trude fragte sich, wann er das Haus verlassen haben mochte. Ihre Augen tasteten sich durch die Staubwolke, sondierten die Kante des Bruchs. Wenn er nur Albert nicht vor die Augen lief, ehe sichergestellt war, dass jeder, der sich nachts im Feld herumgetrieben hatte, wohlbehalten zurück nach Hause gekommen war.
Zwischen all dem Grün und Gelb an der Bruchkante meinte Trude nach einer Weile einen bunten Fleck auszumachen. Es war nur für einen Moment, der Fleck tauchte sofort wieder in der Senke unter. Und Albert Kreßmann war bereits auf dem Rückweg.
Ihre rechte Hand rieb weiter Kreise über das Fensterglas. Das Herz krampfte sich angstvoll zusammen. Da war der bunte Fleck wieder, tauchte zwischen den kümmerlichen Sträuchern auf, schob sich über die Kante.
Ben konnte es nicht sein. Er trug dunkelkarierte Hemden zu blauen Hosen. Aber der Fleck war schon etwas näher als zuvor. Er bewegte sich seitwärts, verließ den Bruch. Und die Haltung, das gebückte Schleichen, es war typisch.
Trude
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