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Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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bis er vom Stuhl aufstand. Zerrte ihn in den Hausflur, die Treppe hinauf, ins Bad. Sie hielt ihn am Arm fest, während sie Wasser in die Wanne ließ. Er hätte ohnehin baden müssen.
    «Was hast du gemacht?», fragte sie mit dünner, kippender Stimme in das Wasserrauschen hinein. Die Kehle war so eng, dass die Worte kaum hindurchpassten. Die Augen quollen über vor Schmerz. Und diesmal war es nicht allein das Herz, das die Brust in Feuer tauchte.
    «Wer hat dir gesagt, dass du so etwas tun darfst? Ich hab dir immer gesagt, du darfst die Mädchen nicht anfassen. Das hast du nicht getan! Das kannst du nicht getan haben. Das nicht! Wo hast du dich so schmutzig gemacht? Jetzt sag schon! Sag doch einmal etwas Vernünftiges! Wie kommt dieses Zeug auf deinen Rücken? Was ist das für ein Dreck?»
    Ihre Finger zerrten am Taillenriemen, nestelten an den Hemdenknöpfen. Zwei Knöpfe rissen ab und klimperten über den Fußboden. Dann war das Hemd endlich von seinen Schultern. Sie riss ihm die Hose herunter, die Unterhose gleich mit und befahl: «Steig ins Wasser!»
    Dann rannte sie mit den Kleidungsstücken zur Tür, die Treppe hinunter, in die Küche. Das Feuer war wieder erloschen. Hemd und Hose unter den Arm geklemmt, hetzte Trude in den Keller und holte noch ein paar alte Zeitungen. Die Finger wollten ihr nicht gehorchen, drei Zündhölzer zerbrachen beim Anreißen, ehe das vierte aufflammte und das Papier in Brand setzte. Doch als sie die Hose in die Feuerung stopfte, erstickten die Flammen an der Heftigkeit. Es war zu viel, einfach zu viel.
    «Er tut keinem Menschen etwas», murmelte sie, stopfte auch das Hemd in die Feuerung und stammelte:«Er meint es doch nur gut. Er kann keiner Menschenseele was zuleide tun.»
    Minutenlang ließ sie den verschwommenen Blick über den blutverkrusteten Hemdrücken und die rußgeschwärzte Herdöffnung gleiten. Dann endlich, nach einem langen, zittrigen Atemzug, riss sie das fünfte Zündholz an, hielt die Flamme vorsichtig an den Stoff, wartete, bis sie übergriff, und schaute zu, wie das Hemd langsam ankohlte, um nach ein paar Sekunden aufzuflammen.
    Und diese kleinen, gelben und blauen Flämmchen waren das Letzte, an das Trude sich später erinnerte. Was sie danach noch gesehen oder getan hatte, wusste sie nicht mit Sicherheit. Ben gewaschen, das stand fest, ihm saubere Kleidung angezogen, weil er später frisch gewaschen und in einem sauberen Jogginganzug auf seinem Bett lag.
    Dann waren da noch ein paar Bilder von kleinen Wunden und von größeren, die wie Kratzer oder nicht allzu tief ins Fleisch gehende Risse aussahen. Und eine Stimme war da, die mehrfach sagte: «Ja, ich weiß, dass es wehtut. Aber es ist gleich vorbei. Halt still, es muss sein. Du hast dich schon so oft am Draht gerissen, das ist genauso.»
    Und ein Messer, ein kleines Messer mit leicht gebogener und scharfer Klinge war da. Aus dem Schrank in der Küche genommen und es mit eigener Hand wieder und wieder über Bens Rücken gezogen. Es anschließend unter einem Wasserstrahl gesäubert. Und ein zweites Messer, eines vom Essbesteck mit Wellenschliff, das gerade taugte, eine Scheibe Brot zu durchtrennen, völlig schwarz und verdorben vom Feuer aus dem Herd genommen und tief unten in die Mülltonne gesteckt.

VERÄNDERUNGEN
    Trude erfuhr nie, was tatsächlich im Juni 82 auf der Apfelwiese geschehen war. Gerta Frankens Zeit auf der Bank am Marktplatz war abgelaufen. Ihre Beine wollten nicht mehr, sie war ans Haus gebunden und erzählte es nur Illa von Burg. Und Illa hielt es nicht für ratsam, einem fünfzehnjährigen Mädchen zu unterstellen, es hätte den eigenen Bruder töten wollen, und damit in eine Familie, die ohnehin schon Sorgen genug hatte, noch mehr Probleme zu tragen.
    Illa sorgte allerdings dafür, dass Bärbel ihren Bruder fortan in Ruhe ließ. Noch während Ben im Krankenhaus lag, führte Illa ein langes und eindringliches Gespräch mit Bärbel, in dem sie sich ihr Schweigen mit dem heiligen Versprechen bezahlen ließ, niemals wieder die Hand gegen Ben zu heben.
    Zu Anfang schien es, als bekomme Bärbel dazu auch keine Gelegenheit mehr. Erich Jensen setzte alle Hebel in Bewegung, Ben in ein Heim zu stecken, sobald er genesen war. Verletzung der Aufsichtspflicht mit gravierenden gesundheitlichen Folgen, ein besseres Argument konnte Erich nicht finden.
    Zweimal ging Trude nach den Stunden, die sie täglich an Bens Krankenbett verbrachte, in die Kanzlei von Heinz Lukka, bettelte, weinte und flehte, Heinz

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