Der Puppengräber
solle seinen Einfluss geltend machen und dafür sorgen, dass Ben wieder heimkommen durfte. Doch in der Situation konnte Heinz Lukka nicht viel tun.
Ausgerechnet Bruno Kleu schaffte es, Erich Jensen umzustimmen. Mit welchen Argumenten ihm das gelang, sagte er Trude nicht. Trude verstand auch nicht ganz, warum Bruno sich überhaupt für Ben einsetzte. Aberseine Motive waren ihr nicht so wichtig. Dass er es tat, zählte, nahm ihr die Furcht vor einer Wiederholung und ließ sie zweifeln, dass Bruno etwas mit dem Verschwinden der Artistin zu tun hatte. Obwohl man das auch anders sehen konnte. Geschulte Erzieher in einem Heim hätten vielleicht begriffen, was Ben mit den Puppen demonstrierte, und wären der Sache nachgegangen.
So kam nur eine schriftliche Aufforderung von der Stadt, das gefährliche Grundstück ausreichend zu sichern, und eine Rechnung für den Feuerwehreinsatz. Jakob bezahlte zähneknirschend, kaufte ein paar Holzlatten und etliche Meter Maschendraht. Daraus baute er eine Art Kegel, den er über den Pütz stellte. Er denke nicht daran, sagte Jakob, sein gesamtes Grundstück einzuzäunen wie ein Gefangenenlager. Trude bettelte tagelang, aber Jakob ließ nicht mit sich reden.
Ben erholte sich von seinen körperlichen Verletzungen, nicht aber den seelischen. Die vierzehn Tage in fremder Umgebung, das Kommen und Gehen der vertrauten Gesichter. Wenn sie gingen, ließen sie ihn zurück. Und meist kam dann einer und stach ihm eine Nadel in den Arm, weil er zu toben begann. Es war mehr Strafe für ihn als Bärbels Prügel und die Stunden im Pütz.
Er wurde verschlossen und misstrauisch. Als Trude ihn endlich heimholen durfte, wich er nicht mehr von ihrer Seite. Waren sie in der Küche, saß er in einer Ecke und brütete dumpf vor sich hin. Kam Jakob über Mittag oder am Abend heim, hob er kurz den Kopf, blinzelte zur Begrüßung wie eine um Freundschaft bettelnde Katze und rückte näher an Trude heran.
Anita zog im Juli aus, hatte ihr Abitur bestanden und nahm ein Zimmer in Köln, um in Ruhe auf einen Studienplatz zu warten. Wenn Bärbel aus der Schule kam, griff er nach Trudes Kittel, klammerte sich fest, wollteihr noch auf die Toilette folgen. Musste sie ins Dorf, lief er neben ihr, hielt sich an ihrer Hand fest und den Blick auf ihr Gesicht gerichtet, als müsse er sich überzeugen, dass sie wirklich noch da sei.
Sibylle Faßbender war durch Illa von Burg informiert über das tatsächliche Geschehen. Und sie meinte, es sei kein gutes Zeichen. «Ich sag es nicht gerne», sagte Sibylle. «Aber mach einen Hund scharf, und du hast einen Beißer. Prügel ein Kind, und du hast einen Schläger. Er war so ein guter Kerl. Hoffen wir, dass es so bleibt. Dass er nicht eines Tages auf die Idee kommt zurückzuschlagen. Am Ende trifft er vielleicht welche, die nichts dafürkönnen. So ist es ja meist.»
Dass Sibylles Befürchtungen nicht unbegründet waren, zeigte sich schon im August. Für Trude kam es überraschend an einem heißen Tag, als sie ihn wie üblich mit zum Einkaufen nahm. Vor der Tür des Supermarkts entzog er ihr seine Hand. Da fühlte Trude sich noch erleichtert und dachte, er habe den Schock endlich überwunden und sei nicht mehr gar so sehr auf ihre Nähe angewiesen. Dem Mädchen von etwa zwölf Jahren, das in ein paar Metern Entfernung am Straßenrand stand, schenkte sie keine Beachtung. Als sie wenig später zurückkam, wälzte er sich über den Gehweg. Unter sich das Mädchen, dem er mit beiden Armen die Luft aus den Lungen drückte. Trude konnte eben noch verhindern, dass er dem Kind in die Nase biss.
Am Nachmittag erschien eine wütende Mutter auf dem Hof, drohte mit Regressansprüchen und anderen Maßnahmen. Es gelang Trude mit großer Mühe und einem ebensolchen Geldschein, die Frau zu besänftigen und dafür zu sorgen, dass Jakob nichts von dem Zwischenfall erfuhr. Aber es blieb nicht bei dem einen.
Nur zwei Tage später hielt Trude sich im Garten auf.Ben hockte am Rand der Wiese. Auf dem Feldweg näherte sich ein Mädchen auf einem Fahrrad. Ben sprang auf, stellte sich breitbeinig in den Weg. Und bevor Trude reagieren konnte, hatte er das Kind vom Rad gerissen und zu Boden geschubst. Obwohl Trude so rasch als möglich zur Stelle war, ging noch der leichte Rock in Fetzen.
Anschließend mühte Trude sich ab, das weinende Mädchen zu beruhigen, verabreichte Ben an Ort und Stelle ein paar Schläge auf den Hintern, zückte wieder die Geldbörse und hoffte inständig, dass Jakob auch davon
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