Der purpurne Planet
Haube, und du fährst rückwärts wieder heraus.“
Das ging nun natürlich etwas schneller. Als sie wieder da standen, wo die Pflanzen niedriger waren, meldete sich auch Erika.
„Ich habe Verbindung mit Uwe und Erich“, rief sie jubelnd. „Augenblick, ich komme gleich wieder!“
Wenige Sekunden später gab sie ihnen eine neue Marschrichtung an. Sie sollten nach links abbiegen, etwa einen Kilometer fahren und dort warten.
Da der Pflanzenwuchs das zuließ, hatten sie diese Aufgabe schnell erfüllt.
Das Warten freilich zog sich in die Länge. Alle zehn Minuten schoß Michael eine Leuchtkugel ab, und erst kurz nachdem er zum sechstenmal die unförmige Pistole gehoben hatte, tauchten Uwe und Erich neben dem Wagen auf.
Michael öffnete die Luke und wollte aussteigen, aber Uwe sagte: „Wir sitzen auf. Schnell nach Hause, wir haben viel zu beraten.“
Zwei Tage lang, vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung, arbeiteten sie alle Fakten auf, die sich bisher ergeben hatten, stellten zusätzlich oder zur Kontrolle die verschiedensten Messungen an, berechneten Minimal- und Maximalwerte und Wahrscheinlichkeiten für die unterschiedlichsten Parameter, tauschten die Ergebnisse aus, berechneten wieder – alles mit dem einzigen Ziel: zu ermitteln, wohin sich die RELAIS-Leute gewandt haben könnten.
Man hätte meinen sollen, daß nach den aufregenden letzten zwei Tagen – der Landung und den ersten Erkundungen mit ihren Überraschungen – diese achtundvierzig Stunden ruhiger, systematischer Arbeit beinahe erholsam hätten wirken müssen. Aber das Gegenteil war der Fall. Die Beengtheit des horizontal liegenden Raumschiffs, in dem eigentlich nur die Sitze des Cockpits und die schwenkbaren Betten in den Schlafkammern eine normale Lage einnahmen, die Dringlichkeit der Sache, an der gearbeitet wurde und die kaum Zeit ließ für die notwendigsten körperlichen Bedürfnisse wie Schlaf und GAG – Gravitationsausgleichsgymnastik –, die täglich mehrmals aufziehenden Gewitterfronten – all das ließ eine knisternde Nervosität entstehen, die jeder fühlte und die vor allem Irina Sorge bereitete.
„Ich merke das an mir selbst“, bestätigte Uwe ihre Besorgnis, „aber wir müssen da hindurch. Ich denke, jeder hat genug Selbstdisziplin, seine Gereiztheit nicht an anderen auszulassen. Mir scheint im Gegenteil, daß alle besonders höflich zueinander sind, und das ist doch ein Zeichen, daß ihnen diese Kalamität bewußt ist, auch ohne daß wir darüber eine Grundsatzdiskussion geführt haben.“
„Meinst du?“ fragte Irina zweifelnd.
„Nimm zum Beispiel Erikas Bitte, daß wenigstens außerhalb der Gewitterdurchgänge bei natürlichem Licht gearbeitet werden soll. Unter normalen Umständen hätte wohl Michael dagegen gesagt, daß die Beleuchtung im Raumschiff ihrer Zusammensetzung nach das beste natürliche Licht sei, aber hier war auch er höflich und sagte: ‚Selbstverständlich, wenn du es wünschst, warum nicht.’“
Uwe hatte Michaels Sprechweise nachgeahmt, und Irina mußte lachen. Trotzdem waren ihre Bedenken nicht zerstreut. Sie hatten das Gespräch während einer kurzen Ruhepause in ihrer gemeinsamen Kammer geführt und mußten nun wieder an die Arbeit, so daß für eine gründliche Erörterung keine Zeit blieb.
Am zweiten Tage abends verabschiedeten sich alle voneinander mit der Festlegung, daß am kommenden Morgen die Ergebnisse zusammengetragen würden.
Erika hielt Irina zurück und bat sie um ein Schlafmittel, da sie schon vergangene Nacht kaum habe schlafen können. Sie sagte das leise und stockend, mit rotem Kopf.
„Schämst du dich deshalb etwa?“ fragte Irina erstaunt.
„Vor mir selbst – nicht vor euch.“
„Das mußt du mir erklären.“
„Bitte, erlaß mir das.“
Irina sah die Jüngere prüfend an. „Ich weiß schon. Dieser Planet war dein Lebensziel. Nun bist du da, und es ist nicht, wie du dir das immer ausgemalt hast, ein Gefühl der Befreiung und Erfüllung, sondern der Leere und Fremdheit. Du hattest immer gedacht, du müßtest dich hier wohler fühlen als auf der Erde, aber du fühlst dich gar nicht wohl. Ist es dies?“
„Woher weißt du das?“ fragte Erika betroffen.
Irina lächelte. „Das kennt jeder, der seinen Beruf liebt“, sagte sie leicht. „Es tritt dann auf, wenn die falsche Romantik stirbt und die echte geboren wird.“ Sie gab ihr ein Schlafmittel.
Obwohl Erika mit diesen Worten nichts Rechtes anzufangen wußte, fühlte sie sich auf sonderbare Art getröstet,
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