Der purpurne Planet
schien ihnen das nur so, hatten sich die Augen vielleicht schon an die hiesigen Lichtverhältnisse gewöhnt und unterschieden nun genauer als bisher?
Möglicherweise war es auch nur die Freude daran, daß sie für einen Tag der Enge des Raumschiffs entrinnen konnten, die Uwe alle in freundlicherem Licht sehen ließ, als sie starteten. Einen Augenblick kam ihm der Gedanke, ob es bei dieser sichtbar guten Wetterlage nicht doch möglich wäre, einfach mit dem Raumschiff loszufliegen und zu suchen – da man doch bei negativem Ergebnis oder bei aufkommender Bewölkung schnell an den Ausgangspunkt zurückkehren konnte. Dann wäre es vielleicht möglich, heute noch…
Aber er verscheuchte den Gedanken gleich wieder. Die Argumente dafür oder dagegen waren geprüft, die Erfahrungswerte über Häufigkeit und Geschwindigkeit des Wetterwechsels sprachen dagegen, und im Vordergrund stand die Sicherheit des Raumschiffs, das später die Sonden eingefangen und dirigieren mußte, weil andernfalls ihre ganze Expedition umsonst gewesen wäre und die Erde auch sie für verschollen halten mußte. Es war alles erwogen und die Pfadfindertaktik für richtig befunden worden.
Aber man konnte der Phantasie nicht verbieten, im Reich der Möglichkeiten umherzuschweifen, wenn die Gedanken nicht an ein Problem, an eine strenge Richtung gebunden waren, wenn der Geist beschäftigungslos war, ganz gleich ob im irdischen Tunnelexpreß oder hier beim gleichförmigen Dahinfliegen über eine eintönige Landschaft, man konnte der Phantasie allenfalls eine Richtung geben, nach vorn, über die unsichtbare Barriere hinweg, die er schon vor Jahrzehnten zwischen sich und seinem Vater errichtet und seitdem immer vor sich hergeschoben hatte.
Er hatte sich dem Wort Vater immer verschlossen, weil er fühlte, daß es für ihn mehr Ferne und größere Entdeckungen barg als die Tiefen des Weltalls. Erst jetzt, da er erreichbar wurde, ertastete sein Gefühl andere Regungen, die darin verborgen sein konnten: Vertrautheit und Gleichklang… Einen exotischen Glanz strahlte dieses Wort aus. Zwar würde er durch Verwirrungen gehen müssen, und er hatte Verwirrungen immer gehaßt. Aber plötzlich fühlte er mit überraschender Deutlichkeit, daß er sich nach seinem Vater sehnte. Und es war gut, sich darüber klar zu sein.
Irina flog halb neben, halb hinter ihrem Mann – so, daß er sie nur sehen konnte, wenn er den Kopf wandte. Sie fühlte, daß er endlich einmal allein sein mußte mit seinen Gedanken und Gefühlen, unbeansprucht von seinen Pflichten als Kommandant und auch nicht beansprucht von ihr. Sie hatte gegenwärtig keine Sorgen und Probleme, die sich mit seinen messen konnten, sie genoß das Fliegen, das ihr unter diesem grünen Firmament fast wie Schwimmen vorkam, nur daß die erfrischende Kühle des Wassers fehlte. Ihr war fröhlich zumute, und sie malte sich voll Heiterkeit die bevorstehende Begegnung aus, die große Freude bringen würde, aber unvermeidlich auch viele kleine, lustige Mißverständnisse, und die trotz aller Erhabenheit sicherlich auch mancherlei Ähnlichkeit mit einem irdischen Familientreffen haben würde, eingeschlossen die damit verbundenen Plattheiten: Was macht denn der Dingsda… Der war ja damals noch ein kleiner Junge… Und Derundder hatte gerade ein Auge auf Dieunddie geworfen. Nur, daß es sich hier eben nicht nur um Schwäger und Neffen handeln würde, sondern vor allem um berühmte Leute, Fachkollegen und Freunde. Und sie hörte sich schon im gleichen Ton antworten: Ach, den Dingsda, nein, den habe ich völlig aus dem Auge verloren, der ist ja dann auf den Mars gegangen, wann war denn das, ich weiß nicht mehr, denn das muß ungefähr in der Zeit gewesen sein, als Derundder und Dieunddie sich getrennt haben, sie paßten wohl doch nicht zusammen, man sagt, seine Mutter soll da der treibende Keil gewesen sein – puh!
Je konkreter sie sich diese Konversation vorstellte, um so mehr erheiterte sie der Gedanke daran. Sicherlich würden die Menschen auch in tausend Jahren noch keinen anderen Weg wissen, einander näherzukommen, als über irgendwelche Belanglosigkeiten zu reden und dabei auf die Fünkchen Sympathie oder Antipathie zu lauschen, die nicht im Gegenstand, sondern im Ton der Rede funkelten – so wie jetzt unten, auf dem dunklen Hintergrund der Vegetation, das Netz der goldenen Medaillons funkelte, der Seen, die die anderen vorgestern überflogen hatten. Rührte ihre Heiterkeit vielleicht daher, daß das Bild des
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