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Der Rabbi

Der Rabbi

Titel: Der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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selbst gewisse Vorurteile gegenüber den Juden gehabt. Ich fühle mich unwürdig, einem Volk anzugehören, das eine solche Last von kollektivem Haß trägt.«
    »Sie fühlen sich unwürdig?«
    »Ja.«
    Rabbi Gross ließ sie nicht aus den Augen. »Wer hat Sie gelehrt, das zu sagen?« fragte er.
    »Ich verstehe nicht.«
    Er erhob sich schwerfällig und schritt zum Heiligtum, zog die blauen Vorhänge zur Seite, öffnete die Holztür und ließ Leslie die beiden in Samt geschlossenen Thora-Rollen sehen. »Diese Rollen enthalten die Gesetze«, sagte er. »Wir werben nicht um Proselyten, im Gegenteil - wir schrecken sie ab. Im Talmud steht geschrieben, was der Rabbiner dem Anhänger einer anderen Religion zu sagen hat, wenn er zu uns kommt und Jude werden will. Die Thora schreibt vor, daß der Rabbiner dem Heiden das Schicksal des Juden in dieser Welt warnend vor Augen führen muß. Die Thora ist aber noch in einer anderen Hinsicht sehr genau. Wenn der Heide sinngemäß antwortet: >Ich weiß das alles, und dennoch fühle ich mich unwürdig, Jude zu werden - dann muß er zur Bekehrung angenommen werden, und zwar unverzüglich.«
    Leslie setzte sich. »Sie wollen mich also nehmen?« fragte sie leise. Er nickte. Mein Gott, dachte sie, was soll ich jetzt tun?
     
    Jeden Dienstag und Donnerstag abends kam Leslie zu Rabbi Gross.
    Er sprach, und sie hörte zu, aufmerksamer als selbst der schwierigsten Vorlesung im College, ohne müßige Fragen zu stellen und nur dann unterbrechend, wenn sie unbedingt eine Erklärung brauchte.
    Er setzte ihr die Grundlagen der Religion auseinander. »Die Sprache unterrichte ich nicht«, sagte er. »Es gibt genug Hebräischlehrer in New York. Wenn Sie wollen, suchen Sie einen auf.« Auf eine Anzeige in The Times ging sie zur YMHA in der 92nd Street, und damit hatte sie auch den Mittwochabend besetzt. Ihr Hebräischlehrer war ein bekümmert aussehender junger Doktorand an der Yeshiva University. Er hieß Mr. Goldstein, und sie sah ihn allabendlich in der Cafeteria ein Stockwerk unter ihrem Klassenzimmer sein Abendessen verzehren; es war immer das gleiche: ein Käsetoast mit Oliven und eine Schale schwarzer Kaffee.
    In summa: dreißig Cents. Die Manschetten seines Hemdes waren abgescheuert, und Leslie wußte, daß sein Abendessen so bescheiden war, weil er sich mehr nicht leisten konnte. Ihr eigenes wohlgefülltes Tablett erschien ihr vergleichsweise als Schlemmerei, und ein paar Wochen lang versuchte sie, ihre Mahlzeiten einzuschränken. Aber der Sprachkurs dauerte zwei Stunden, und nachher ging sie noch in eine Vorlesung über jüdische Geschichte, bei der ihr vor Hunger schwindlig wurde, wenn sie nicht ordentlich gegessen hatte.
    Mr. Goldstein nahm seinen Unterricht ernst; und von den Schülern, die der Abendklasse wertvolle Freizeit opferten, hatte jeder seinen triftigen Grund für das Hebräisch-Studium. Nur eine, eine Frau in mittleren Jahren, kam nach der ersten Stunde nicht wieder. Die übrigen vierzehn Kursteilnehmer lernten die zweiunddreißig Buchstaben des hebräischen Alphabets in einer Woche. In der dritten Woche sagten sie schon einer nach dem andern die albernen kleinen Sätze her, die sie mit ihrem beschränkten Vokabular bilden konnten.
    »Rabi ba«, las Leslie und übersetzte »Mein Rabbi kommt« mit solchem Jubel, daß Lehrer und Mitschüler sie verwundert ansahen.
    Aber als sie das nächstemal zum Vorlesen an die Reihe kam, lautete die Aufgabe: Mi rabi? Aba rabi. »Wer ist mein Rabbi? Mein Vater ist mein Rabbi«, übersetzte sie. Eilig ließ sie sich in ihren Sessel fallen, und als sie wieder ins Buch sah, war ihr, als sehe sie durch Milchglas.
    Eines Abends, als Rabbi Gross über den Götzendienst sprach und sie darauf aufmerksam machte, daß es Christen zumeist überaus schwerfalle, sich einen Gott ohne Bild vorzustellen, merkte sie plötzlich, daß er gar nicht wirklich alt war. Aber er sah aus wie ein alter Mann, und er verhielt sich so. Moses selbst konnte kaum strenger ausgesehen haben. Soeben schaute er ihr über die Schulter ins Heft, und sein Mund wurde schmal.
    »Schreiben Sie den Namen Gottes niemals aus. Schreiben Sie immer nur G-t. Das ist sehr wichtig. Es ist eines der Gebote, daß Sein Name nicht eitel genannt werden soll. «
    »Entschuldigen Sie«, sagte sie. »Es gibt so viele Vorschriften.« Ihre Augen wurden feucht. Peinlich berührt, schaute er weg, begann wieder auf und ab zu gehen und setzte seinen Vortrag fort, während die Knöchel seiner rechten Hand leise

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