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Der Rabbi

Der Rabbi

Titel: Der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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eingenistet hatte, der Alte sei schon tot, ein Leichnam, der nichts mehr hören konnte von den Worten der Lebendigen.
    Hinter der Trübe von Isaacs Augen flackerte etwas, ein Licht - was war es nur? Plötzlich wußte er mit großer Sicherheit, was es war: Angst. Sein Großvater fürchtete sich. Obwohl er ein Leben lang Gott gesucht hatte, war er jetzt, da er am Rand stand, voll des Schreckens. Michaels Griff schloß sich fester um die Hand des Großvaters, bis er die Knochen durch die dünne Haut fühlte, spröde wie alte Fischgräten, und er lockerte seinen Griff wieder, aus Angst, sie zu zerbrechen.
    »Hab keine Angst, sejde«, sagte er auf jiddisch. »Ich bin bei dir. Ich laß dich nie wieder allein.«
    Der Alte hatte die Augen schon geschlossen, sein Mund bewegte sich wie der eines Kindes. »Ich laß dich nie wieder allein«, wiederholte Michael und wußte, während er es sagte, daß die Worte die langen Jahre nicht auslöschen konnten, in denen der alte Mann allein die langen, mit glänzendem braunem Linoleum belegten Gänge auf und ab gegangen war, mit der Whiskyflasche als einzigem Trost und Freund.
    Michael hielt die Hand des Alten, während dieser halluzinierte und zu Menschen sprach, die irgendwann durch sein Leben gegangen waren und eine Spur in seiner Erinnerung gelassen hatten. Manchmal weinte er auch, und Michael wischte die Tränen nicht von den runzligen Wangen; ihm war, als würde er damit in die Intimität des alten Mannes eindringen. Der Großvater erlebte nochmals den Streit mit Dorothy, in dessen Folge er das Haus des Sohnes verlassen hatte.
     
    Er tobte und wütete über Michaels Schwester Ruthie und einen kleinen schkotz, der Joey Morello hieß. Plötzlich preßte er die Finger seines Enkels mit aller Kraft, öffnete die Augen und starrte Michael an. »Hab Söhne, Michele«, sagte er. »Viele jiddische Söhne.« Er schloß die Augen wieder, und minutenlang schien er friedlich zu schlafen, ruhig atmend und mit geröteten Wangen.
    Dann öffnete er die Augen weit und unternahm einen wütenden Versuch, aus dem Bett zu kommen. Er wollte schreien, aber seine Kraft reichte nicht aus; flüsternd nur brachte er die Worte heraus:
    »Keine schiksse! Keine schiksse!« Seine Finger krallten sich in Michaels Hand, dann fielen die Lider über die Augen, und das Gesicht verzog sich zu einer beinahe komischen Grimasse. Das Blut strömte stärker in seine Wangen, grauschwarz schimmernd unter der durchsichtigen Haut. Dann fiel er schwer zurück und atmete nicht mehr.
    Michael löste seine Hand langsam aus der Umklammerung des sejde und kam aus dem Sauerstoffzelt hervor. Zitternd und seinen verbundenen Finger reibend, stand er inmitten des Zimmers. Dann trat er zu seinem Vater, der noch immer, den Kopf an die Wand gelehnt, vor sich hin schnarchte. Er sah so wehrlos aus in seinem Schlaf. Zum erstenmal bemerkte Michael, wie ähnlich Abe dem sejde wurde, mit seiner im Alter schärfer gewordenen Nase und fast kahlem Schädel; nach der schiwe- Woche, in der er sich nicht rasieren durfte, würde er einen Bart haben.
    Behutsam berührte Michael die Schulter seines Vaters.

11
    Die Leichenfeier begann im Sons of David-Heim mit der Ansprache eines ältlichen, asthmatischen orthodoxen Rabbiners und setzte sich mit einer langen Wagenauffahrt zu dem von Menschen überfüllten Friedhof auf Long Island fort. Viele der Heiminsassen gaben dem Toten Geleit. Auf der Fahrt in dem Mietwagen, der nach Blumenspenden roch, zwischen Vater und Mutter sitzend und die wechselnde Straßenszenerie betrach-tend, fragte sich Michael, wie oft sein Großvater diese Fahrt wohl gemacht hatte, um von Freunden Abschied zu nehmen. Isaac wurde, wie es sich für einen frommen Juden geziemt, in einem schlichten Holzsarg begraben; ein neues Gebetbuch mit Elfenbeinschließen und eine Handvoll Erde aus Erez Jissro'ejl, dem Gelobten Land, hatten sie ihm mitgegeben. Michael hätte ihn am liebsten mit seinem alten ssider begraben, aus dem er so viele Jahre lang gebetet hatte, und er hätte gern noch einen Sack kandierten Ingwer und eine Flasche Schnaps dazugelegt. Als der Rabbiner die erste Schaufel voll Erde ins Grab warf und die Steine auf den Sargdeckel polterten, wankten Abe die Knie. Michael und die Mutter mußten ihn stützen, während der Rabbiner das schwarze Band an seinem Rockaufschlag durchschnitt.
    Schluchzend sprach Abe den kadisch, und Dorothy wandte sich ab und weinte wie ein kleines Mädchen.
    Sieben Tage lang saßen sie schiwe. Am zweiten

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