Der Raben Speise
und in Holland hat man die Führer bereits hingerichtet. In Den Haag, in Haarlem haben sie furchtbare Exempel statuiert. Das einfache Volk ist leicht durch die flammende Rede und die überschäumende Begeisterung auf unsere Seite zu ziehen, aber soll etwas von Dauer geschaffen werden, kann das nur auf der Grundlage von Verhandlungen und Verträgen geschehen. Genau dies aber wird Mathijs verhindern – und sei es wider besseres Wissen.«
Er sah mein skeptisches Gesicht und beantwortete meine Frage, bevor ich sie gestellt hatte. »Ich weiß, ich weiß, ich habe auch nicht immer so gedacht. Aber ich sehe die Entwicklung voraus, denn sie wird keinen anderen Verlauf nehmen als in den Niederlanden. Deshalb werden wir alle sterben, wenn wir nicht alsbald auf den Weg der Verständigung einschwenken.«
»Wie schön, das von einem Menschen zu hören, der immer vom herrlichen Leben nach dem Tode predigt und selber mehr am Diesseits klebt als Kuhscheiße an den Stiefeln. Nun denn, wenn dies deine ehrliche Meinung ist und es dir nur noch darum geht, dein eigenes Leben zu retten, dann komm mit uns, und zwar noch heute. – Und, danke für dein Einschreiten und die Kleidung.« Ich war inzwischen der Wanne entstiegen, hatte mich abgetrocknet und die Kleidung angelegt, die mir leidlich passte.
So trübe, wie er mich bei seiner Antwort anblickte, war mir klar, dass er die reine Wahrheit sprach: »Wie gerne. Doch ich würde es keine Woche überleben.«
Wieder sah er meine Entgegnung voraus und hob abwehrend die Hand, um alle Einwendungen im Keim zu ersticken. »Nicht meine Glaubensbrüder, oh nein. Der Herzog von Kleve!«
Das war eine Eröffnung, die mich fürs Erste mundtot machte und mir einiges an Nachdenken abverlangte. »Der Herzog von Kleve.« Ohne dass es mir besonders bewusst geworden war, hatte ich mich gesetzt und begonnen, mit den Fingern auf den Tisch zu trommeln. »Der Herzog von Kleve. – Das musst du mir näher erläutern. Ein Verbündeter des Bischofs, der nichts lieber täte, als die Anabaptisten zu zertreten. Ein Fürst, der die neue Weltordnung hassen muss und mit Franz am gleichen Strick zieht, um sie zu verhindern. Und dieser Mann soll dich dafür töten wollen, dass du die Wiedertäufer verrätst und dich auf unsere Seite stellst? Das musst du mir wirklich erklären.«
Und Bernd Rothmann, dem man den Beinamen Stutenbernd gegeben hatte, erklärte es mir. Er berichtete mir von seinem Treffen mit einem geheimnisvollen Fremden, der für ihn so geheimnisvoll gar nicht war. Er schilderte mir beinahe wortgetreu die Ränke, die Absichten und das Endziel des Herzogs von Kleve, dessen Vorhaben so bedeutungsschwer war, dass dieser hohe Herr die Durchführung seiner Pläne keinem anderen überließ, sondern höchstpersönlich erschienen war.
Als er geendet hatte, war klar, mit welch infamem Spiel dieser saubere Fürstenbruder Franz um die Perle des Münsterlands betrügen wollte. Falls Rothmann die Wahrheit sagte, hatte der Bischof einen weiteren, gewaltigen Feind auf der Rechnung – falls.
»Und diesen Unsinn soll ich dir glauben?«
»Glaub ihn oder glaub ihn nicht. Ich werde jedenfalls hier bleiben, weil alles andere meinen sicheren Tod bedeutet. So habe ich noch eine Chance. – Aber du wirst glauben müssen, nein, du wirst wissen, wenn du dies gelesen hast.«
Das Papier, das er mir vorlegte, war eine von ihm handschriftlich verfertigte Schilderung des eben wiedergegebenen Treffens zwischen ihm und dem Herzog von Kleve an einem bestimmten Tage vor zwei Jahren in einer einsamen Schenke namens
Schwarzer Kapaun
, zu dem der Herzog ihn mit Rücksicht auf seine prädestinierte Stellung ausgewählt und dazu bestimmt hatte, in Münster die Erwachsenentaufe zu predigen und das Volk gegen den Bischof aufzuwiegeln. Rothmann hatte seine eigenen Vermutungen angefügt, die darin gipfelten, dass der Herzog darauf hoffte, der Bischof und die Wiedertäufer würden sich gegenseitig zerfleischen, sodass es ihm eine Leichtes wäre, sich Münster nach den Kämpfen ohne große Gegenwehr einzuverleiben. Nach Datum und Unterschrift von Rothmann fand sich der Satz: »Heute haben sich bei mir der Herzog von Kleve und ein Mann getroffen, der sich Bernhard Rothmann nannte.« Es folgte wieder dasselbe Datum sowie ein ungelenker Namenszug, den ich als Jasper Hespel entzifferte. Rothmanns Hinweis: »Der Wirt der Schenke«, war nicht mehr nötig.
»Schön, schön, ein Fetzen Papier mit der Unterschrift – wenn man sie überhaupt so
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