Der Raben Speise
ewig würde verzichten können. Deshalb habe ich Ossensterts Haus seit Wochen heimlich beobachten lassen, denn irgendwann musste einer von deinesgleichen kommen.«
Das also war die Bewegung im Dunkeln gewesen, die ich bei meiner Ankunft aus dem Augenwinkel bemerkt hatte. Geholfen hatte es mir allerdings nicht.
Rothmann schien meine Gedanken lesen zu können. »Oh doch, es hat dir genützt, dass mein Mann da war. Jan Mathijs und seine Verehrer sind nicht dumm, sie haben genau dieselben Überlegungen angestellt wie ich und ließen deshalb jeden verfolgen, der sich als Landsknecht ausgab oder sonst wie ins Bild passte, sich aber nicht sofort nach seiner Ankunft auf dem Rathaus meldete. Zusätzlich hatten sie einen weiteren Trupp in der Apotheke stationiert, der jeden Ankömmling so lange festhalten sollte, bis die Verstärkung eintraf. Aber bei dir war ja alles so sonnenklar, da brauchte man erst gar nicht lange zu warten, um dir eins über den Schädel zu geben. – Doch kurz und gut, ich brauche deine Hilfe, deshalb dieser ganze faule Zauber.«
»Meine Hilfe? Wobei?«
»Dabei, diesen wahnsinnigen Mathijs und seine holländische Anhängerschaft loszuwerden.«
Wenn Rothmann es darauf anlegte, mich zu verblüffen, so gelang ihm das wirklich ausgezeichnet. »Wieso dieser plötzliche Sinneswandel? Du warst doch die treibende Kraft bei allem. Bevor die holländische Brut sich hier breit machte, hast du doch die Festung für sie sturmreif geschossen. Ich bin überzeugt davon, dass es ohne dich und deine flammenden Reden, mit denen du das Volk schon seit langem aufgewiegelt hast, nie so weit gekommen wäre.«
Unter kaum merklichem Wiegen des Kopfes stülpte er die zusammengepressten Lippen nach vorn, ehe er sich zu einer Antwort bequemte. »Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass eine Reformation der Kirche notwendig ist. Sind es nicht gerade ihre Repräsentanten, die sich wieder und wieder gegen die Gebote des Herrn versündigen? Ist es nicht immer nur der gemeine Mann, der alle Lasten tragen muss, für den man die biblischen Worte so verdreht, dass er wie tumbes Schlachtvieh dahinvegetieren muss, damit es den adeligen Blutsaugern noch besser geht? Und alles mit Billigung und dem Segen der heiligen Mutter Kirche! Nein, eine grundlegende Änderung muss kommen, mag sie lutherisch, müntzerisch oder auch anabaptistisch sein. – Doch was nützt jede Änderung zum Guten, wenn ich sie nicht mehr erlebe? Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen, wenn du von der holländischen Brut redest. Dieser Jan Mathijs ist ein schrecklicher Wirrkopf, der jedes Maß verloren hat. Wie sollen wir die Menschen zu unserer Überzeugung bekehren, wenn wir sie wie unsere Feinde behandeln und verjagen? Ich habe ihn erlebt, den Irren, wie er bei Knipperdollink durch das Haus tobte und ihm immer wieder zugerufen hat: ›Töte! Erschlage sie alle! Töte!‹ Nicht einmal Bockelson konnte ihn im Zaum halten. Er war selbst so bestürzt, dass er kurz davor stand, alle Priester und Mönche zu warnen. – Und erinnere dich an diesen Tag im Februar, als wir alle Wankelmütigen vertrieben. Ein schrecklicher Nordwind mit Schnee und eisigem Regen. Mathijs schreit die Vertriebenen an, dass ihnen die Elemente Feind sind, und sieht nicht, dass sie uns genauso treffen. – Dieser Wahnsinnige pervertiert unsere Ideen. Er wird uns alle ins Verderben stürzen. Denn wenn es zu solchen Morden kommt, dann wird der Bischof keine Gnade kennen.«
Der Bischof wird keine Gnade kennen? Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. »So, so, keine Gnade also. Was hat dir denn diese Weitsicht eingegeben? Bisher liegt nicht einmal ein fester Ring um die Stadt. Und du prophezeihst schon ein blutiges Ende? Und außerdem, ihr komischen Orakler seit doch so fest davon überzeugt, dass der Herr vom Himmel herabsteigen und hier ein neues Jerusalem errichten wird. Für euch gibt es doch nichts Geringeres als den Sieg über die ganze Welt. Und ausgerechnet du, der du die Lawine losgetreten hast, ausgerechnet du glaubst an eure Niederlage, schon jetzt, bevor ein erster Schuss gefallen ist?«
»Du kennst diesen Mathijs nicht. Alles an ihm ist darauf angelegt, ein Meer von Blut heraufzubeschwören, das alles unter sich ersticken wird. Mit ihm gibt es keine vernünftige Lösung, er ist kein Mann der Verhandlungen. – Du magst mich für einen Schwarmgeist halten, aber ich vermag die Gesetzmäßigkeiten dieser Welt durchaus zu erkennen. Das ganze Reich steht gegen die Wiedertäufer
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