Der Rache dunkle Saat - Booth, S: Rache dunkle Saat - One Last Breath
über seine Vermieterin und über gemeinsame Bekannte auf dem Polizeirevier. Er sagte sogar etwas über Schnecken, das sie nicht verstand. Fry versuchte zu beurteilen, ob er sich unterhalten wollte oder ob er sich nur bemühte, das Gespräch mit ihr zu beenden, indem er sie zu Tode langweilte.
Sie hatte beinahe schon beschlossen, Cooper nicht mehr zu belästigen und aufzulegen, als er sie überraschte.
»Diane«, sagte er, »hättest du was dagegen, wenn ich bei dir vorbeikommen würde?«
»Was?«, erwiderte sie, überrumpelt von der plötzlichen Veränderung in seinem Tonfall.
»Schon gut, wenn du nicht willst.«
»Na ja...«
»Oder vielleicht könntest du zu mir kommen, wenn du möchtest. Oder wir könnten uns irgendwo anders treffen. Was dir lieber ist. Nur, am Telefon ist es ein bisschen schwierig.«
»Was denn, Ben?«
»Sich zu unterhalten. Ich meine, sich richtig zu unterhalten.«
Fry merkte, dass sie lächelte. Sie lächelte so stark, dass ihr die Wangen schmerzten. »Du möchtest dich über etwas unterhalten, Ben?«
»Ja. Sieh mal, ich weiß, dass es eine Zumutung ist. Du hast wahrscheinlich keine Lust. Aber wenn du ein bisschen Zeit übrig hättest... Nur eine halbe Stunde. Meinst du, das wäre möglich? Dass du mir ein bisschen Zeit opferst?«
»Ja, Ben«, sagte sie, »natürlich ist das möglich.«
Sie hörte ihn erleichtert seufzen.
»Vielen Dank«, sagte er. »Es gibt da etwas, worüber ich unbedingt mit dir reden muss.«
Der Regen weckte Will Thorpe. Selbst im Halbschlaf merkte er, dass irgendetwas nicht stimmte, doch es dauerte ein paar Sekunden, bis er herausfand, was. Dann fragte er sich, weshalb es ihm ins Gesicht regnete. Er erinnerte sich vage daran, dass er sich in der Scheune befand und dass er seinen Schlafplatz sorgfältig ausgewählt hatte, um nicht nass zu werden. Doch es bestand kein Zweifel daran, dass Wasser auf ihn tropfte.
Thorpe stöhnte und fluchte. Der Wind musste im Lauf der Nacht gedreht haben und trieb den Regen jetzt zu ihm hin. Wenn er nicht umzog, würde er bis zum Morgen vollkommen durchnässt sein und so steife Gelenke haben, dass er kaum noch gehen konnte. Und er musste früh aufbrechen.
Er musste aus der Gegend verschwinden, weil er hier nicht sicher war.
Trotzdem blieb er liegen und dachte noch ein oder zwei Sekunden lang darüber nach. Vielleicht hörte der Regen ja bald auf, und es blieb ihm erspart umzuziehen. Doch er konnte ihn gleichmäßig auf das Dach der Scheune fallen hören. Thorpe lauschte auf den Wind – vielleicht war es nur eine Böe, die den Regen hereinblies. Er merkte, wie sein Gehirn gegen seinen Willen wachsamer wurde, wie seine Sinne träge auf irgendeine Angst reagierten. Er kniff die Augen fest zusammen und lauschte abermals. Es war nicht windig.
Thorpe riss die Augen auf. Zunächst konnte er nichts erkennen. Seine Sicht war vom Schlaf getrübt und die Umgebung ungewohnt. Er erkannte die Gerüche wieder, mit denen er eingeschlafen war: von alten Zigarettenkippen und Urin, von feuchtem Beton und Erde. Doch er entdeckte noch etwas Neues, einen Geruch, der vorher nicht da gewesen war. Den Geruch eines anderen menschlichen Wesens.
Als ein weiterer Wassertropfen auf Thorpes Wange fiel, wurde er mit einem heftigen Schrecken der Gestalt gewahr, die drohend über ihm stand, eine dunkle, nach unten gebeugte Figur, die ihn schweigend und mit unsichtbaren Augen anstarrte, während von ihrer schwarzen Kleidung Wasser tropfte.
Thorpe begann zu schreien. Das Geräusch kam tief aus seinem Bauch, schien seine erschöpfte Lunge zu umgehen und erschreckte ihn mit seiner Lautstärke. Gleichzeitig schlug er unter seiner Decke um sich und versuchte, sich aufzusetzen, seine Hände zu befreien oder unter demjenigen wegzurollen, der über ihm stand, wer auch immer es war. Sein Schreien füllte die Scheune und entlockte den gemauerten Wänden und den uralten Balken ein Echo, das wie eine höhnische Imitation seiner Furcht klang.
Die Gestalt hatte sich bislang nicht bewegt. Doch das
Schreien setzte sie in Bewegung. Zwei schwarze Arme schossen auf sein Gesicht zu, und Hände bedeckten seinen Mund, quetschten ihm die Lippen gegen die Zähne und pressten ihm den Kopf nach hinten auf den Boden. Dann verstummte Thorpes Schreien.
30
Wer ist da an der Tür, Schwester?«, fragte Angie Fry.
»Das ist Ben Cooper.«
»Hey, wie geht’s ihm denn? Ich werd mal ›hallo‹ zu ihm sagen.«
Diane Fry starrte ihre Schwester an, die keinerlei Anstalten machte,
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