Der Rache dunkle Saat - Booth, S: Rache dunkle Saat - One Last Breath
selbst. Sie war offensichtlich viel zu arglos.«
»Hat Mrs. Lowe gesagt, warum sie Mansell Quinn nicht mehr im Gefängnis besuchen wollte?«, erkundigte sich Fry und hielt sich damit an ihren Fragenkatalog.
»Warum? Das war doch verständlich, oder? Die Scheidung wurde vollzogen. Sie musste sich um ihr eigenes Leben kümmern.«
»Aber die Kinder – Simon und Andrea. Schließlich war er ihr Vater. Das bedeutete doch, dass er sie nicht mehr zu Gesicht bekam.«
»Sie waren damals Teenager«, erwiderte Mrs. Cottrill. »Alt
genug, um selbst zu entscheiden. Sie hätten ihren Vater ja besuchen können, wenn sie gewollt hätten. Aber sie wollten nicht. Man konnte von Rebecca nicht erwarten, dass sie sie dazu zwang, wenn sie Angst hatten.«
»Angst?«
Dawn Cottrill blickte sie an. Fry bemerkte, dass ihr die Frau bislang noch kein einziges Mal in die Augen gesehen hatte. Ihr Blick war auf irgendetwas über Frys Kopf am Spalier an der Hauswand gerichtet gewesen.
»Ich nehme an, Sie waren schon mal in einem Gefängnis«, sagte sie. »Bei Ihrem Job.«
Fry empfand das eindeutig als Beleidigung. Mrs. Cottrills Ton legte nahe, dass sie aufgrund ihres Berufs kaum besser war als die Insassen.
»Ja, das war ich«, sagte sie. »Es ist nicht angenehm für Besucher. Vor allem für Kinder. Aber wie Sie sagten, waren Simon und Andrea damals bereits Teenager. Sie waren alt genug, um die Situation zu verstehen.«
Mrs. Cottrill schien einen Moment lang zu überlegen. Sie sah Gavin Murfin an, der es vernünftigerweise vorgezogen hatte, nichts zu sagen und Notizen zu machen. Er nahm einen Schluck von dem Fruchtsaft, den Fry noch gar nicht probiert hatte. Ihr fiel auf, wie er den Tisch mit den Augen absuchte, als hoffte er darauf, dass ein selbst gebackener Kuchen dazu serviert würde.
»Rebecca hat einmal erwähnt, dass Mansell sich immer seltsamer benommen hat, wenn sie ihn besuchten.«
»In welcher Hinsicht seltsam, Mrs. Cottrill?«, erkundigte sich Fry.
»Angeblich hat er die Kinder gepackt, sie zu fest an sich gepresst und sie sogar an den Haaren gezogen. Vor allem Simon. Er hatte Simon immer besonders gern gehabt, und ich habe zu Rebecca gesagt, dass er vermutlich nur frustriert ist, weil er seine eigenen Kinder nicht in den Arm nehmen darf und deshalb
etwas grob ist. Der Mangel an Körperkontakt. Jedenfalls mochten es die Kinder nicht, und sie hatten Angst.«
»Ich verstehe.«
»Ich habe gesagt, sie wären Teenager gewesen, aber jetzt fällt mir ein, dass Andrea damals ungefähr zwölf gewesen sein muss. Sie ist knapp drei Jahre jünger als Simon. Man hat ja keine Vorstellung davon, was einem Kind in diesem Alter durch den Kopf geht.«
»Würden Sie sagen, dass Mansell Quinn grundsätzlich gewalttätig war?«
»Nein, eigentlich nicht. Niemand war mehr überrascht als ich, als er diese schreckliche Tat beging. Ich kannte Mrs. Proctor nicht, deshalb kann ich nichts über ihr Verhältnis sagen und darüber, was einen solchen Wutausbruch bei ihm hervorgerufen haben könnte.«
»Und jetzt?«
»Ich kann es mir nicht erklären. Ich hab einfach keine Erklärung dafür.«
Fry bemerkte eine leichte Veränderung in der Stimme der Frau. Vielleicht blieb ihr nicht mehr viel Zeit, bis ihr die Befragung entglitt.
»Jetzt mache ich mir am meisten Sorgen um Simon«, sagte Mrs. Cottrill.
»Warum?«
»Nachdem es passiert war, habe ich Rebecca überredet, eine Zeit lang mit den Kindern bei mir zu wohnen. Ich spreche vom ersten Mal. Sie waren natürlich fürchterlich geschockt und durcheinander. Das waren wir alle. Aber Simon zog sich völlig zurück. Irgendwann ging Rebecca mit ihm sogar zum Therapeuten, als er Probleme in der Schule hatte. Ich weiß nicht, wie er diesmal reagieren wird.«
»Ich fürchte, wir werden uns mit ihm unterhalten müssen«, sagte Fry.
»Das ist mir klar. Aber von Andrea werden Sie mehr erfahren.
Sie hat kurz bevor es passiert ist mit ihrer Mutter telefoniert. Vielleicht kann sie Ihnen einen Eindruck davon vermitteln, was in Rebecca in der letzten Stunde ihres Lebens vorgegangen ist.«
»Das wollen wir hoffen«, entgegnete Fry.
»Wissen Sie, ich habe im Lauf der Jahre ziemlich oft über Mansell Quinn nachgedacht«, sagte Dawn. »Man muss versuchen zu verstehen, was im Kopf von so jemandem vorgeht – vor allem, wenn er es auf einen abgesehen hat. Man möchte doch immer wissen, ›warum‹, oder?«
»Manchmal kann man sich diese Frage so oft stellen, wie man möchte«, sagte Fry, »bekommt aber trotzdem
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