Der Raecher
Nummernschilder am Wagen waren mittlerweile die eines Bürgers von San Martin. In Anlehnung an das Sprichwort »Wo versteckt man einen Baum? Im Wald. Wo versteckt man einen Stein? Im Steinbruch« stellte er den Wagen auf einem öffentlichen Parkplatz ab, schulterte den Rucksack und marschierte ostwärts aus der Stadt hinaus. Ein Rucksacktourist wie jeder andere.
Die Nacht brach herein. Vor ihm ragte der Kamm der Bergkette auf, die das Landgut vom Dschungel trennte. Dort, wo die Straße landeinwärts abbog, um dann in einem weiten Bogen um die Hügel herum in Richtung Moroni und Französisch-Guyana zu führen, verließ er sie und machte sich an den Aufstieg.
Er sah die unbefestigte schmale Straße, die sich vom Bergsattel herabschlängelte, und hielt in schrägem Winkel zu ihr auf die Bergspitze zu, die er sich auf den Luftaufnahmen als Orientierungspunkt ausgewählt hatte. Als es zu dunkel wurde, um weiterzugehen, setzte er seinen Rucksack ab, nahm ein aus hochwertigen Trockenrationen bestehendes Abendessen zu sich, trank dazu einen Becher des kostbaren Wassers, lehnte sich gegen den Rucksack und schlief ein.
Bei seinen Einkäufen in den New Yorker Campingläden hatte er die von der US-Army übernommenen Fertiggerichte verschmäht, da diese Meals Ready to Eat , wie sie offiziell hießen, im Golfkrieg offensichtlich so scheußlich geschmeckt hatten, dass die GIs sie in Meals Rejected by Ethiopians umtauften. Er hatte sich seine eigene Kraftnahrung gemischt, bestehend aus Rindfleisch, Rosinen, Nüssen und Traubenzucker. Er würde Hasenkötel ausscheiden, aber wenn es darauf ankam, auch topfit sein.
Er erwachte vor Tagesanbruch, aß eine Kleinigkeit, trank einen Schluck und kletterte weiter. Irgendwann konnte er durch
eine Lücke zwischen den Bäumen weiter unter das Dach des Wachhauses am Bergsattel erkennen.
Noch vor Sonnenaufgang hatte er den Gipfel erreicht. Zweihundert Meter vom angepeilten Punkt entfernt trat er aus dem Wald und ging auf dem Kamm entlang, bis er die Stelle vom Foto fand.
Sein Blick hatte ihn nicht getrogen. Das Gelände war wie in seiner Vorstellung beschaffen. Auf der Kammlinie gab es eine leichte Senke, die von letzten spärlichen Pflanzen verdeckt wurde. Wenn er dort mit Tarnhose und Buschhut, geschwärztem Gesicht und olivgrünem Fernglas reglos unter einem Strauch lag, war er von der Hazienda aus nicht zu sehen.
Wenn er eine Pause brauchte, konnte er nach hinten robben und sich wieder aufrichten. Er baute sich ein kleines Lager, das für maximal vier Tage sein Zuhause bilden sollte, rieb das Gesicht mit Erde ein und kroch in das Versteck. Die Sonne färbte den Dschungel drüben in Französisch-Guyana rosa, und der erste Strahl glitt über die Halbinsel. El Punto lag ausgebreitet unter ihm wie das maßstabgetreue Modell, das sein Wohnzimmer in Brooklyn geschmückt hatte - ein Haifischzahn, der in die glitzernde See hinausragte. Von unten drang ein dumpfes metallenes Hämmern herauf, als jemand mit einer Eisenstange gegen ein aufgehängtes Stück Bahnschiene schlug. Zeit zum Aufstehen für die Zwangsarbeiter.
Der befreundete Gerichtsmediziner, den Paul Devereaux in Bethesda kontaktiert hatte, rief erst am 4. September zurück.
»Um was in aller Welt geht es bei der Geschichte, Paul?«
»Sagen Sie es mir. Um was geht es?«
»Um Grabräuberei, wie es aussieht.«
»Weiter, Gary. Was ist es?«
»Ein Femur, was sonst. Ein rechter Oberschenkelknochen. Mit einem sauberen Bruch in der Mitte. Kein komplizierter Bruch, keine Splitter.«
»Die Folge eines Sturzes?«
»Nein, es sei denn, eine scharfe Kante war mit im Spiel, oder ein Hammer.«
»Sie bestätigen meine schlimmsten Befürchtungen. Fahren Sie fort.«
»Nun ja, der Knochen stammt zweifelsfrei von einem anatomischen Skelett, wie man es in jedem Medizinerladen bekommt und wie es von Studenten seit dem Mittelalter benutzt wird. Ungefähr fünfzig Jahre alt. Der Knochen wurde erst kürzlich mit einem kurzen, kräftigen Hieb gebrochen, wahrscheinlich an einer Bank. Habe ich Ihnen den Tag gerettet?«
»Nein, Sie haben ihn mir verdorben. Aber ich stehe trotzdem in Ihrer Schuld.«
Wie alle seine Telefonate hatte Devereaux auch dieses auf Tonband aufgenommen. Als er die Aufnahme Kevin McBride vorspielte, fiel dem die Kinnlade herunter.
»Gütiger Gott.«
»Hoffentlich ist er das, um Ihrer unsterblichen Seele willen, Kevin. Sie haben Mist gebaut. Es ist ein Schwindel. Er ist nicht tot. Er hat die ganze Sache nur inszeniert. Er
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