Der Raecher
eine halbe Stunde. Der Kunstsammler weilte gerade in Amsterdam, um sich zum wiederholten Mal im Rijksmuseum Rembrandts »Nachtwache« anzusehen. Wegen der sechs Stunden Zeitunterschied wurde er beim Abendessen gestört. Er war dennoch hilfsbereit.
»Jean«, sagte Steve Edmond nach dem Telefonat, »rufen Sie
den Flughafen an. Sie sollen die Grumman startklar machen. Sofort. Ich möchte nach London fliegen. Nein, das in England. Sowie es hell wird.«
Man schrieb den 10. Juni 1995.
4
Der Soldat
K aum hatte Cal Dexter seinen Fahneneid geleistet, war er auch schon auf dem Weg ins Grundausbildungslager. Er brauchte nicht weit zu fahren, Fort Dix liegt in New Jersey.
Im Frühjahr 1968 rückten Zehntausende junger Amerikaner ein, fünfundneunzig Prozent davon widerwillig als Wehrpflichtige. Den Ausbildern war das völlig schnuppe. Ihre Aufgabe bestand darin, aus dieser Masse von kahl geschorenen jungen Männern so etwas wie Soldaten zu machen, ehe sie, nur drei Monate später, an einen anderen Standort versetzt wurden.
Woher sie kamen, wer ihre Väter waren und welche Ausbildung sie genossen hatten, interessierte sie herzlich wenig. Das Ausbildungslager war der größte Gleichmacher nach dem Tod. Der würde später kommen. Jedenfalls für einige.
Dexter war von Natur rebellisch, aber auch cleverer als die meisten. Das Essen war bescheiden, aber immer noch besser als das, das er auf vielen Baustellen bekommen hatte, und so aß er mit Appetit.
Im Gegensatz zu den Jungs aus begütertem Haus hatte er keine Probleme mit dem Schlafsaal, den offenen Toiletten oder dem Befehl, seine Montur und den kleinen Spint pieksauber zu halten. Am meisten kam ihm jetzt zugute, dass ihm nie jemand hinterhergeräumt hatte, und so erwartete er auch nichts dergleichen im Lager. Andere, die es gewohnt waren, bedient zu werden, brachten viele Stunden damit zu, unter den Blicken eines missgestimmten Unteroffiziers um den Exerzierplatz zu joggen oder Liegestütze zu machen.
Gleichwohl sah Dexter in den meisten Vorschriften und Ritualen keinen Sinn, doch er war klug genug, seine Meinung für sich zu behalten. Ebenso wenig konnte er verstehen, wieso Unteroffiziere immer Recht hatten und er immer Unrecht.
Es zahlte sich sehr schnell aus, dass er sich auf drei Jahre verpflichtet hatte. Die Corporals und Sergeants, die in einem Grundausbildungslager gleich nach dem lieben Gott kamen, kannten seinen Status und drückten bei ihm ein Auge zu. Reiche Muttersöhnchen hatten es am schwersten.
Nach zwei Wochen musste er zu seinem ersten Beurteilungsgespräch vor einem dieser nahezu unsichtbaren Wesen erscheinen - einem Offizier, genauer gesagt einem Major. »Irgendwelche besonderen Qualifikationen?«, fragte der Major wohl zum tausendsten Mal.
»Ich bin Bulldozer gefahren, Sir«, antwortete Dexter.
Der Major studierte seine Akte und sah auf. »Wann war das?«
»Letztes Jahr, Sir. Nach der Schule und vor meiner Verpflichtung.«
»Ihren Papieren zufolge sind Sie erst achtzehn. Demnach waren Sie damals erst siebzehn.«
»Ja, Sir.«
»Das ist verboten.«
»Na, so was, Sir, das tut mir Leid. Ich hatte keine Ahnung.«
Er spürte, wie der Corporal, der stocksteif neben ihm saß, sich nur mühsam ein Grinsen verkniff. Doch das Problem des Majors war gelöst.
»Schätze, die Pioniere wären das Richtige für Sie, Soldat. Irgendwelche Einwände?«
»Nein, Sir.«
Sehr wenige scheiden mit Tränen von Fort Dix. Ein Ausbildungslager ist keine Sommerfrische. Aber die meisten verließen den Ort mit geradem Rücken, breiten Schultern und Bürstenschnitt, in der Uniform eines einfachen Soldaten, mit Seesack und einem Marschbefehl, in dem der nächste Standort eingetragen
war. In Dexters Fall handelte es sich um das Fort Leonard Wood in Missouri, wo er eine weiterführende Ausbildung erhalten sollte.
Die bestand in einer Basisausbildung zum Pionier, und das hieß nicht nur Bulldozer fahren, sondern alles, was Räder oder Ketten hatte. Außerdem musste er Motoren reparieren und Fahrzeuge warten lernen und, sofern noch Zeit blieb, fünfzig andere Kurse besuchen. Nach weiteren drei Monaten erhielt er das Zeugnis, das seine Einsatzbefähigung bestätigte, und wurde nach Fort Knox in Kentucky versetzt.
Die meisten Menschen kennen Fort Knox nur als Goldlager der amerikanischen Zentralbank, das die Fantasie jedes tagträumenden Bankräubers beflügelt und Gegenstand zahlloser Filme und Bücher ist.
Fort Knox ist aber auch ein großer Militärstützpunkt und
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